Im Schnepfenaquarium - Richard Wagners Rheintöchter
Als ich
noch kein Fröken, sondern höchstens eine Flicka, ein kleines Mädchen also, war,
begann das, was mein Leben über eine lange Zeit hinweg bestimmen sollte:
Umzüge. Ich erinnere mich an einen Auftritt vor einigen Jahren, bei dem ich
einen song („My Town“) mit den Worten ankündigte, ich sei nun 23 Mal umgezogen
und hätte endgültig den Kanal voll, sehnte mich nach einem Zuhause, das den Namen auch verdiente. Und was soll ich sagen? Keine 6 Monate später packte ich meine Sachen erneut.
Diesmal nur eine Türe weiter, aber immerhin. Wer mich heute erschrecken will,
droht mit irgendwelchen weiteren Nomadenaktionen. Huh!
Schlimm
an der Umzieherei ist für Kinder meist der Wechsel der Schule, der
Nachbarschaft oder des Freundeskreises. Irgendwo neu dazuzustoßen ist immer
eine Herausforderung, besonders aber, wenn es sich um Mädchencliquen in
Schulklassen handelt. Da gibt es keine Anpassungszeit. Entweder, man wird
angenommen, oder eben nicht. Rangordnungen scheinen hier immer eher
Hackordnungen zu sein. Meine Stute schlug schon einmal um sich, wenn ihr jemand
zu frech wurde, aber danach war die Sache dann auch gegessen. Bei den
Mädchencliquen, an die ich mich erinnere, sah die Sache grundlegend anders aus:
Wer sich einmal in die Nesseln gesetzt hatte, war aus dem Rennen und bekam keine zweite Chance.
Auch getreten wurde weniger, das war eher Sache der Jungs. Bei uns Mädchen
wurde man gewissermaßen kaltgestellt, nicht angerufen, wenn es am Nachmittag
zum Eislaufen oder ins Freibad ging, nicht zu Parties eingeladen, nicht mit
rübergewunken, wenn man sich zufällig in einem Café traf. Da waren die „coolen“
Plätze im Bus (die so genannte „Affenbank“ in der hintersten Reihe) alle
besetzt, obwohl noch niemand darauf saß. Wer ganz schlimm verkackt hatte, bei
dem zog der Rest der Mädchen schon mal in die andere Ecke des Freibades um,
wenn man beschlossen hatte, den Schritt auf sie zuzugehen und sein Handtuch
dazuzulegen. Tja, wir merken schon: Ich habe Erfahrung auf diesem Gebiet. Und
zwar seitdem ich irgendwann in der achten oder neunten Klasse den Fehler machte, anderer
Meinung zu sein, als das damals beliebteste Mädchen in meiner Jahrgangsstufe.
Ich glaube, ich trug ganz einfach eine ziemlich auffällige Klamotte (eine mit
Glitzergel festbetonierte New-Wave-Frisur mit einer Tüllschleife zu Leggins und
einem Jackett meines Vaters...ja, es waren die 80er Jahre, direkt nach der
Schule ging es mit besagtem Jackettbesitzer in die Oper und ich fand es so todschick,
dass ich mich heute noch daran erinnern kann, wie lange ich an den Haaren
gebastelt habe). Ein Outfit also, das nichts, aber auch gar nichts mit dem zu tun hatte, was zu
dieser Zeit in dieser Gruppe angesagt, beziehungsweise gewissermaßen Vorschrift
war. Danach hatte ich dann modisch alle Freiheiten (die ich auch nutzte), dafür aber
keine Freunde mehr. Bis auf ein Mädchen, das ebenfalls andere Interessen hatte,
als das Kleeblatt von der letzten Bank, und das noch immer zu den Menschen
gehört, denen ich alles anvertrauen würde.
Indirektes
Mobbing nennt sich die Methode der sozialen Ausgrenzung, wird amerikanischen
Studien zufolge von Lehrern und Eltern nicht wirklich ernst genommen, und
scheint wohl auch mädchentypisch zu sein. Zumindest legen diese Studien nahe,
dass es etwas mit Gruppendynamik und Einzelbeziehungen zu tun haben, und in
Gehirnregionen stattfinden soll, die sich erheblich von denen der Jungs unterscheiden.
Na, prima, dann kann ich mir also ein Attest besorgen, das mein unoziales
Verhalten einer genetischen Disposition zuschreibt, und dem ausstellenden Arzt
beim Hinausgehen vermutlich noch in den Hintern treten. Ich kann ja nix dafür,
ich hab die Arschlochkrankheit.
Die
Arschlochkrankheit haben ganz offensichtlich auch die drei Rheintöchter in
Wagners Rheingold, dem Vorabendsingsang zur Operntrilogie „Der Ring des
Nibelungen“. Drei Mädels im Teenageralter, bei denen Geld, beziehungsweise Gold
keine Rolex zu spielen scheint, und denen ganz offensichtlich auch noch niemand
aufgezeigt hat, wo ihre Grenzen sind. Die Hellsten scheinen sie auch nicht zu
sein, denn so sehr sie Alberich auch verspotten, wo das Gold ist und wie man
sich seiner am einfachsten bemächtigen kann, das verraten sie ihm ohne auch nur
die leiseste Spur von Argwohn. Lieber Vater Rhein: Du kennst Deine Kinder doch
nicht erst seit gestern, und bei aller elterlichen Liebe und der dazugehörigen
Portion Selbstbetrug: Dass es nicht unbedingt klug ist, halbwüchsige Mädchen
ohne Lebenserfahrung alleine in der Schatzkammer spielen zu lassen, hätte Dir
eigentlich auch ohne Supernanny klar sein müssen. Und wo wir schon beim Thema
Nanny sind: Ich weiß ja nicht, wo Mama Rhein ist, und mit wem Du Dich sonst so
triffst, aber selbst als alleinerziehender Vater solltest Du Deinen Töchtern
mal ein paar Takte über das Leben erzählen: Dass man nicht unbedingt halbnackt
vor fremden Männern herumhüpft beispielsweise. Und, dass es so etwas wie
grundlegende Manieren gibt, zu denen auch gehört, sich nicht über Fremde lustig
zu machen. Schon gar nicht zu dritt gegen einen, und erst recht nicht, wenn der
Fremde gehbehindert und kleinwüchsig ist. Kein Wunder, dass er irgendwann den
Kanal voll hatte, von den drei Rheinschnepfen und von der Liebe, die er ja
niemals zu bekommen scheint.
Zugegeben,
sein stolperndes, Motiv lässt auf ein unschönes Äußeres schließen, und als
Handwerker verdient er vermutlich auch nicht genug, um sich zum Ausgleich eine
Villa und einen Sportwagen zu kaufen, obwohl es vermutlich auch nur darauf
ankommt, was man so zusammenzimmert. Immerhin hat ja auch Richard Lugner mit
einer einfachen Handwerkerkonzession und zwei Kumpels angefangen, und die
Rheintöchter würden ihn vermutlich ohne
mit der Wimper zu zucken zum Opernball begleiten. Alberich jedoch stellt sich
ungeschickt an, im Umgang mit den drei „fraulichen Kindern“, man merkt ihm an,
dass er hier nicht auf sicherem Boden steht. Die fiesen Spielchen der
Rheintöchter, die ihm einerseits vorgaukeln,
ihn tatsächlich attraktiv zu finden, nur um ihn in der nächsten Sekunde
bloßzustellen und auszulachen, treiben ihn erst dazu, materiellen Besitz über
Gefühle zu stellen. So verhöhnt zu werden, das schmerzt gewaltig. Dazu darf man
davon ausgehen, dass ihm so etwas auch nicht zum ersten Mal passiert. Und mal
ehrlich: Wenn das die vielgepriesene Liebe sein soll, die ihm da vorgeführt
wird, dann wüsste ich auch, wofür ich mich in dieser Germanenversion von „Geldoder Liebe“ entscheiden würde. Dann setzt sich so ein Typ doch lieber vor den
Computer, den er sich vn einem Bruchteil des frisch gehobenen Goldes gekauft
hat, mit einer Packung Taschentücher und einem frisch erstellten Zugangskonto
bei Rheinporn.de.
Ich weiß
nicht, was Jürgen Baader in seinem Essay „Die Rheintöchter und das Rheingold“
zu der Aussage treibt, „die Rheintöchter verkörpern die ursprüngliche Unschuld
des Werdens [...] ohne die Beigabe scmerzlicher Missklänge“, aber so
interessant der Aufsaz auch ist, hier hat er entweder niemals ähnliche
Erfahrungen gemacht, selbst Töchter im Teenageralter, die er vergöttert und bei
denen er sich fröhlich in die Tasche lügen kann, oder ganz einfach den Schuss
nicht gehört. Weia, kann ich da nur sagen, au weia, Woge! Und später wundern
sich dann alle, wenn so ein ständig gemobbter Mitschüler Amok läuft. Hat ja
keiner kommen sehen.
Dabei
hätten wir es kommen hören müssen, das Geplätscher der Rheinschrapnellen, das
Rheintöchterleitmotiv, das auf-und-ab-Gewarbel wenn es um ihr Rheingold geht. Was
im Vorspiel noch nach Wellen klingt, die sich immer weiter brechen und immer
kleinere Bewegungen formen, wird eine
Geräuschkulisse, die ich aus der Straßenbahn kenne: Kichernde Teenies,
ebenfalls in Grüppchen aus drei oder vier Freundinnen, die, weshalb auch immer,
jedes mal direkt hinter mir Platz nehmen, und einen Klangteppich aus Getuschel
und Gekicher weben. Ein Mikrokosmos innerhalb der Weiten der DVB. Abgeschottet
in ihrem Gackerversum und ein klein wenig verstörend, weil mir in einem solchen
Augenblick die Erziehunsversuche meiner Großmutter in Erinnerung gerufen
werden, die mir erklärte, wie unhöflich es sei, in der Öffentlichkeit zu
flüstern. Flüster-und-Kichergruppen sind ein wenig wie Menschen, die während
eines gemeinsamen Essens plötzlich anfangen, sich in einer Fremdsprache zu
unterhalten, und den Rest der Tischgesellschaft dem großen Rätselraten
überlassen, was es denn mit der plötzlichen Geheimniskrämerei auf sich hat. Man
könnte sich auch ein Schild um den Hals hängen, mit der Aufschrift: "Nee, Du darfst
nicht wissen, was wir zu sagen haben. Du gehörst nicht dazu". Ich weiß nicht, ob
Wagner jemanls Straßenbahn gefahren ist, aber rein körperlich gesehen zählte er
ja auch nicht gerade zu den Hühnen, und Rheintöchter gibt es eben überall. Leider. Auch
an der Elbe.
Was die
fehlenden schmerzlichen Mißklänge betrifft: Weshalb sollten die denn
ausgerechnet bei den Rheintöchtern in Erscheinung treten, lieber Herr Baader?
Selbstverständlich haben wir es hier mit großer innerer Unruhe zu tun, aber die
Rheintöchter sind dabei lediglich die Verursacher, nicht jedoch die Opfer. Es
ist ihnen nicht einmal egal, was Alberich fühlt, sie können es sich nämlich
ohnehin nicht vorstellen. Sie sind derart empathielos, dass sie sich nicht
hineinfühlen könnten, selbst wenn sie es aus einem wie auch immer gearteten
Grund heraus versuchen würden. Man möchte ihnen eine Rhein-hauen, wenn sie
nicht so niedlich lächeln würden. Wobei es ja eine ganz wunderbare Inszenierung
der katalanischen Gruppe La Fura Dels Baus gab, in der die drei Rheintöchter in
Aquarien von der Decke hingen ( was ein wenig an die Kritik an der Münchner
Uraufführung von 1869 erinnert, in der vom „Huren-Aquarium“ die Rede war), und
in der Alberich am Ende des Szene kurzen Prozess mit den drei Ungrazien machte,
indem er ihnen ganz einfach das Wasser abließ. Das nenne ich mal einen starken
Abgang.
Sollte
sich ein Geschichtswissenschaftler, Politikologe oder Soziologe hierher verirrt und Interesse an der ganzen
Sache haben: Wie wäre es, wenn wir uns einmal zusammensetzten und überlegten,
wie viele Konflikte in der Weltgeschichte darauf zurückzuführen sind, dass
irgend ein Depp eine unüberlegte Bemerkung nach der anderen rausgehauen hat?
Oder wir lehnen uns zurück, beobachten Donald Trump bei der Arbeit, setzen ein
Häkchen nach dem anderen und warten auf dem Augenblick, an dem irgendeinem
Alberich der Kragen platzt und er sich ein Stück modernes Rheingold zu Nutze
macht. Denn so weit sind wir gar nicht mehr entfernt, von der Götterdämmerung.
"My Town" habe ich leider nicht finden können, aber wo wir uns schon im Rhein befinden, wäre ja auch so ein Fluss ganz angebracht.
Nach dem Dresdner Regalsturz ist auch die Laute wieder repariert.
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