Tochter Dingsda freue Dich! Bach-Korrekturen zur Naziweihnacht
Dass unsere ach so vertraut klingenden Weihnachtslieder während der
Zeit des Dritten Reiches auch nicht das waren, was wir heute so vor uns
hinsummen, während wir über den Weihnachtsmarkt schlendern, habe ich je bereits
im letzten Blogpost erwähnt, aber was bei den Ochsen erlaubt ist, ist ja
bekanntlich bei Jupiter noch lange nicht erlaubt. Oder war es umgekehrt? Auf
jeden Fall gibt es bei Volksliedern und -Bräuchen zumindest keine Urheber- und
Kunstrechtsstreitereien zu erwarten; bei dem, was im Allgemeinen unter „Kunst“
verstanden wird, hingegen schon. Sosehr mich mein Ästhetikerherz auch quält:
Schleiche ich mich des Nachts mit einem Meißel ins Museum, um dem ungewaschenen Lockenkopf von
Michelangelos David mal eben eine ordentliche Frisur zu stösseln, erwartet mich
vermutlich Ärger. Wie aber sieht es aus, wenn ich nur ein paar Noten
verschiebe, um diesen unsäglichen Tristanakkord endlich in ein klar erkennbares
C-Dur zu verwandeln, und den ewigen Spekulationen über seine tiefergehende,
unterschwellige Fast-Auflösung ein Ende zu bereiten? Darf ich das? Nun, ich
selbst vermutlich nicht, aber, um mit Rio Reiser zu sprechen: Würd ich das
alles und noch viel mehr machen, wenn ich König von Deutschland wäre?
Vielleicht. Zumindest, wenn ich es schaffe, auch den letzten Gehirnsittich
davon zu überzeugen, es handele sich um eine wichtige Maßnahme zur Erziehung
der Volksseele. Dann darf ich nämlich sogar Johann Sebastian Bach den Stift aus
der Hand nehmen. Nachträglich natürlich.
„Kunst im absoluten Sinne, so wie der liberale Demokratismus sie kennt,
darf es nicht geben. [...] Gut muß die Kunst sein: darüber hinaus aber auch
verantwortungsbewusst, gekonnt, volksnah und kämpferisch.“ äußerste sich Joseph Goebbels in einem Brief
gegenüber dem Dirigenten Wilhelm Furtwängler, woraufhin ihm dieser kurze Zeit
später Amt und Insignien vor die Füße schmiss. Wenigstens gab es sie noch, die
Künstler, die Eier in der Hose hatten.
Ob man es glaubt oder nicht: Die vielgelobten Werke
Johann Sebastian Bachs, mit denen man sich nach außen hin als „Kulturnation“
rühmte, wurden genauso zensiert und
„korrigiert“, wie man Filme oder Bücher zensierte, oder bestimmte Gemälde aus
Ausstellungen entfernte.
Viele
andere Komponisten hätte man vermutlich einfach in der Schreibtischschublade
verschwinden lassen, mit Bach, Beethoven und Konsorten konnte sich der deutsche
Staat jedoch schmücken, so war der Präsident der Reichsmusikkammer Peter Raabe
ebenfalls hoch geschätztes Mitglied der neuen Bachgesellschaft, und das
Leipziger Bachfest wurde im Jahr 1935, anlässlich des 250. Geburtstags des
Vorzeigediabetikers, sogar zum großen Reichs-Bachfest erklärt. Wobei der größte
Witz an der neuen Bachgesellschaft ja darin besteht, dass sie unter anderem von
Felix Mendelssohn Bartoldy gegründet wurde, also ausgerechnet von einem
Komponisten, der im Dritten Reich dann nicht mehr gespielt werden sollte. Da
frisst nicht die Revolution ihre Kinder, sondern die Kinder die Revolution.
Wünsche wohl gespeist zu haben.
Diese
Komponisten konnte man also nicht so einfach eliminieren, die wurden noch
gebraucht. Das war irgendwie doch Kunst, das konnte noch nicht weg. Die eine
oder andere Arie, wie beispielsweise das etwas prekäre „Bereite Dich, Zion /
mit zärtlichen Trieben“, welche das kritische Wort „Zion“ enthält, hat Bach ja
praktischerweise bei sich selbst gecovered und nur den Text überarbeitet, so
dass sich ganz einfach der ursprüngliche Kantatentext wieder einsetzen lässt,
ohne irgend etwas am Versmaß verändern zu müssen. In diesem Fall konnte man
also einfach die Arie aus dem Bachwerkeverzeichnis 213 aus der Schublade ziehen
(„Ich will dich nicht hören, ich mag dich nicht wissen“, was vermutlich ohnehin der
Einstellung vieler Kirchgänger zur Bereinigungspolitik der NSDAP entsprach). Schwieriger
wird es beim folgenden Altrezitativ „Nun wird mein liebster Bräutigam, nun wird
der Held aus Davids Stamm zum Trost, zum Heil der Erden, einmal geboren werden“.
Das ging gar nicht, wie man so schön sagt. Da musste gefeilt werden.
Und nun?
So viel kirchliches Zeug, das große jüdische Könige preist und das Wort Heil so
gar nicht mit der Idee verbindet, sich Polen einzuverleiben... so einfach ist
es also nicht mit der Bachrezeption und einige Kirchen, wie etwa der Dom zu
Trier spielten größere Bachwerke auch erst wieder in den 60er Jahren, nachdem
sie sich vermutlich erstmals wieder in Sicherheit wähnten.
Ansonsten
wurde das geistliche Werk Bachs ganz einfach umgedichtet. Offiziell zur Gebrauchslyrik erklärt, bastelte man aus dem „jüdischen Land“ , das der
Evangelist gleich im ersten Rezitativ besingt, flugs „der Väter Land“ und wo
Dich sonst „dein Zion“ mit Psalmen erhöht, tat dies nun eben „die Seele“. Ach,
und hatte ich nicht gerade etwas vom „größten Witz“ erwähnt? Streicht die
Stelle bitte großflächig, es gibt nämlich noch einen viel größeren:
Der
Leipziger Thomaskantor Erhard Mauersberger, ehemals Mitglied des „Kampfbundes
für deutsche Kultur“, brachte es allen Ernstes noch in den 70er Jahren fertig,
das Wort „Israel“ aus einer Motette verschwinden zu lassen. Wobei ich fast noch
empörter darüber bin, dass der Chor und Gemeinde nicht geschlossen den Saal
verlassen haben, als die Stelle ertönte. So viel Fairness müsste eigentlich
sein. Aber wie man sieht, verschwinden Dinge eher aus Gesetzbüchern als aus
Köpfen.
Einige
der während des Dritten Reiches so aktiv meinungsbildenden Musikwissenschaftler
hielten sich nach 1945 höflich zurück oder beschlossen, ihre Meinung bestimmten
Gattungen oder Komponisten gegenüber noch einmal zu überdenken, anderen hörte
ohnehin kein Mensch mehr zu, und wieder andere fuhren weiterhin die alte
Schiene und passten sich lediglich in den Formulierungen an die Gegebenheiten
der heutigen Zeit an. Wer auf wissenschaftlichem Gebiet ernstgenommen werden
will, erklärt Musik nicht für „entartet“ oder „verjudet“ oder sonst etwas. Er
bezeichnet einen Komponisten statt dessen als substanzlos („Musikwunder ohne
seelische Substanz“), wie es beispielsweise der Über-Nazi (wie viele politische
Ämter kann man eigentlich gleichzeitig innehaben, ohne überlastet
zusammenzubrechen?) Hans Schnoor mit Mendelssohn-Bartoldy tat, oder schnreibt
vernichtende Kritiken über Schönbergs Musik. Eigentlich ist alles beim Alten
geblieben, was die musikalische Auffassung gewisser Wissenschaftler betrifft.
Blöd nur, dass man niemanden für seine Meinung zur Verantwortung ziehen kann,
solange diese sachlich formuliert ist und zumindest gut begründet scheint.
Das
Problem an der Geschichte liegt nämlich darin begründet, dass jeder Mensch
einen eigenen Geschmack hat, den man ihm weder nachweisen noch absprechen kann.
Anders gesagt: Erzähle ich einer für mich wichtigen Professorin all das, was
sie selbst über ein bestimmtes Musikstück geschrieben hat und stimme ihr dabei
in allen kritischen Punkten zu, dann bin ich möglicherweise die größte
Schleimerin der Musikgeschichte, möglicherweise aber auch eine Seelenverwandte.
Wissen wird das nur mein engster Freundeskreis, dem gegenüber ich hinterher
äußere, was für eine tolle Wissenschaftlerin, oder möglicherweise eben auch für
eine unglaubliche Kuh sie ist... wir werden es nie erfahren. Das Leben ist eben
kein Tatortkrimi, in dem am Ende alles aufgedeckt wird.
Alles in
allem kann man eben nur vermuten, wer wem nach dem Schnabel redet. Was das
Abkanzeln von Musikstücken oder gleich ganzen Komponisten betrifft, befindet
man sich also in der Zwickmühle: Sollte ich mich zurückhalten, wenn ich nichts
Freundliches zu sagen habe, oder setze ich mich damit dem Vorwurf aus, eine
Mitläuferin zu sein, die sich nicht traut, den Mund aufzumachen, wenn ihr etwas
missfällt? Vielleicht sollte man sich manchmal auch einfach an den Ratschlag
halten, den ich vor vielen Jahren (witzigerweise bei einem Ärztetreffen, mit
dem ich ja eigentlich gar nichts zu tun habe) zu hören bekam: „Meinungen sind
wie Pobacken. Jeder hat welche, jeder hat ein Recht darauf, sie zu besitzen,
aber man muss sie nicht unbedingt ungefragt anderen Leuten unter die Nase
halten.“
Klingt
etwas radikal, ist aber im Grunde durchaus richtig. Und stößt nicht ganz so
viele Leute vor den Kopf, wobei ich mir das im Zusammenhang mit den Pobacken
jetzt nicht unbedingt vorstellen mag. Alles in Allem wünsche ich eine schöne
vierte Adventswoche und viel Spaß beim Besuch der hoffentlich unzensierten wunderschönen
Weihnachtskonzerte da draußen. Ich für meinen Teil gehe mir erst einmal die
Nase putzen, da hat sich so ein unangenehmer Geruch festgesetzt. Und danach
höre ich vielleicht eine Runde „Tochter Zion“. Und freue mich!
Kaum zu glauben, wie klein die Katzen mal waren... die Bilder haben der Herr Verratichnicht und ich auf einer alten Festplatte gefunden. Das hier ist der kleine Huck
Mit Mama
Und so ein Klops ist der große Rote heute :D
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