Händel with care! Der Meister in der Nazizeit
„Ich
lese keine Märchenbücher mehr, ich bin schon groß!“ las ich neulich in einem
Forum als Antwort auf die Frage, wer denn die Bibel gelesen habe. Die Antwort
ist deshalb witzig, weil sie die Frage gleichzeitig beantwortet und nicht
beantwortet. Nicht beantwortet, weil kein Mensch etwas über Märchenbücher
wissen wollte, und die Bibel auch kein solches ist. Da scheint wohl jemand
Geschichte mit Geschichten verwechselt zu haben (und fragt sich in der Schule
im Geschichtsunterricht jedes Mal, wann denn endlich das Märchen von
Rotkäppchen erzählt wird), denn genau das ist die Bibel: Ein Geschichtsbuch.
Ein Geschichtsbuch, ein Gesetzbuch, ein Handbuch für den Umgang mit den irrsten
Situationen. Vielleicht wird es einfach Zeit, das Ding umzubenennen: statt
unter „Bergpredigt“ fassen wir die wichtigsten Tipps einfach unter dem Titel
„Coole Alltagshacks, die Du gelesen haben musst“ zusammen und stellen die Sache
ins Netz. Mal sehen, was dann passiert. Aber zurück zur Nicht-oder
doch-Beantwortung der Eingangsfrage: Ein bisschen war das Ganze so, als würde
ich auf die Frage „Kochst Du oft Rote Bete“ mit „Ich esse keine tierischen
Produkte“ antworten. Einerseits sinnfrei bis zum Abwinken, andererseits
benatwortet es die Frage eben doch, denn wenn ich nicht einmal weiß, dass Rote
Bete nicht vom Tier stammt, dann habe ich wohl nicht allzuviel Erfahrung mit
der Färberrübe, koche sie daher also vermutlich eher selten. Insofern hatte das
Forenmitglied die Bibel wohl auch nicht gelesen. Schade eigentlich, denn
bezüglich all der Dinge, die wir nicht kennen (bzw. gar nicht erst kennenlernen
wollen, obwohl wir täglich die Möglichkeit dazu hätten), kann man uns quasi das
Blaue vom Himmel und die Geschichte vom Pferd erzählen, ohne dass es uns auch
nur auffallen würde. Erzähle einem Bibelnichtleser, Amos habe einen Sohn namens
Juckus Kratzus gehabt, der die Antifaltencreme erfunden habe, und er wird es
dir vermutlich glauben. Nachprüfen wird er es zumindest nicht, denn dazu müsste
er sich für die nächsten paar Tage von seiner gewohnten Lektüre verabschieden.
Wäre man
davon ausgegangen, dass Biblische Geschichte ein Thema ist, das in deutschen
Haushalten ausgiebig diskutiert wird, so hätte man sich im Dritten Reich
vielleicht auch ein bisschen zurückgehalten, was die Überarbeitung von Werken,
wie etwa Händels Oratorien betraf. Dabei war es weder verboten, das Alte
Testament zu lesen und sich mit dem Makkabäeraufstand und der Geschichte des
Hanukkafestes (was im Übrigen ein und dasselbe ist) auseinanderzusetzen, noch
gab es irgendeine direkte Weisung von Oben, die die Aufführung von Händels
Werken im Original ausdrücklich untersagt hätte, allerdings ist ja bekanntlich
nichts so anstrengend wie der Umgang mit neubekehrten Menschen, die sich mit
Freuden in den Fanatismus stürzen. Dabei wird dann nicht nur völlig vorschnell
reagiert (ich musste mir einmal erzählen lassen, mein Pferd würde an Diabetes
sterben, weil ich ihm Melisse gegeben habe ... ich denke ja, da hat jemand den
Unterschied zwischen Melisse und Melasse nicht verstanden, wahrscheinlich war
das dieselbe Person, die gerade frustriert aus der Geschichtsstunde gestiefelt kam, weil die Schneekönigin immer noch nicht durchgenommen worden war), sondern
auch derart hysterisch durchgegriffen, dass man sich als Andersdenkender nicht
mehr traut, den Mund aufzumachen und der Sache Einhalt zu gebieten, die sich da
mit Feuereifer auf Freddie Händels Noten stürzt.
Neben
Bach und Beethoven, Mozart und Haydn schien Händel den Nazis durchaus geeignet,
die deutsche Musikszene weltweit zu vertreten. Er hatte nur einen kleinen
Fehler: Der Mann hatte sich verschrieben. Sein Heilsbringer hieß leider nicht
Adolf, im Gegenteil: Händel und sein Zeitgenosse Johann Sebastian schrieben
eine Menge ihrer Geschichten aus der Bibel ab. Und da die nun einmal das Volk
Israel betrifft, lässt sich der eine oder andere Jude im Skript nicht vermeiden. Nun könnte man denken:
„Sch... drauf, wen juckt das schon, es geht hier um ganz große Kunst!“, und
dieser Meinung war - man lese und staune - auch Joseph Goebbels, allerdings gab
es eine Reihe von Verschwörungstheoretikern, die wohl vermuteten, man solle
hier quasi von hinten durch die Brust ins Auge semitisiert werden. Und so machte
man sich ab 1941 in der Reichstelle für
Musikbearbeitung frisch ans Werk, eben diese großen Werke zu
decontaminieren.
Nun
behandeln Händels Oratorien nicht nur Themen der jüdischen Geschichte, sie
heißen auch so: Esther, Solomon, Samson, Joseph und seine Brüder... das ließ
sich nicht so einfach verlustfrei umbenennen. Einzig Joseph hätte man lassen
können, zu Ehren des Reichspropagandaministers, der sich allerdings vermutlich
wenig darüber gefreut hätte, wenn man ihm seine schöne neue Uniform weggenommen
und ihn in einen Brunnen geworfen hätte. Und die anderen? „Karl-Heinz“ klingt
zwar urdeutsch, macht sich aber nicht so gut, als Titel eines Oratoriums. Da
musste etwas anderes her. Aber was das Ersetzen
unerwünschter Ausdrücke betraf, war man mittlerweile ja ins Profilager
übergewechselt. „Israel in Egypt“, das den Auszug aus Ägypten behandelte, ging
beispielsweise gar nicht. Immerhin hätte man in Deutschland seine Ruhe vor den
Juden gehabt, wären diese einfach weiterhin als Sklaven in Ägypten geblieben. Der Opfersieg bei Walstatt (dafuq?!?) klingt da doch schon bedeutend nazifreundlicher.
Ich persönlich
hätte mir vermutlich einen Spaß daraus gemacht, „Israel in Egypt“ einfach Note
für Note rückwärts zu spielen, so dass sie alle wieder zurückwandern, nach
Ägypten, Moses quasi als allerletzter im Rückwärtsgang hinterher, aber ich
schätze, dabei hätte selbst der dümmste Nazi gemerkt, dass ich mich gerade
lustig mache, über sein System. Abgesehen davon hatten sie noch einen Haufen
nette Ideen für Umbenennungen parat (Samson wurde
beispielsweise zum Wieland-Oratorium...darauf
muss man erst mal kommen). Zudem gab es da den Aspekt des aufstrebenden Volkes,
beziehungsweise des ungebrochenen „Volkswillens“ in den Oratorien, den man sich
programmatisch zu Nutze machen konnte. Und welches Oratorium eignet sich besser
zur programmatischen Verhunzung als „Judas Maccabäus“?
Judas
Maccabäus war ein jüdischer Feldherr, nach dem Tod seines Vaters Marcus
Anführer des Makkabäeraufstandes, der quasi die Antwort auf die Politik des
Antiochus Epiphanes war. Antiochus brachte Jerusalem im Jahre 167 v. Chr. nach
einer Zeit der Unruhen wieder in seine Gewalt, gründete mitten in der Stadt
eine griechische Siedlung, verbot die herrschende Religion und weihte den
Tempel des JHWH mal kurz zum Zeustempel um. Dass er dafür eins auf den Deckel
bekam, ist noch heute Anlass des jüdischen Hanukkafestes: Die neue Weihung des
Tempels, quasi die Wiedereinsetzung des jüdischen Glaubens in der Stadt.
So weit,
so unnationalsozilistisch, doch schon Händel hatte erkannt, dass sich die
Grundidee, die Rückeroberung verlorener Erde, die Ausbreitung des eigenen
Volkes und der eigenen Ideologie, ganz gut nutzen lassen, wenn es darum geht,
spätere Kriegserfolge zu feiern. In Händels Fall war das der zweite
Jakobitenaufstand, bzw dessen Niederschlagung. Und im Grunde ließ sich die Idee
dann doch ganz nazimäßig an, denn Erobern war sozusagen der Heiße Scheiß,
entsprach also dem Zeitgeist. Womit die Frage nach dem Namen recht schnell
geklärt war: Statt Judas Maccabäus als Person, nehmen wir ganz einfach dessen
Berufsbezeichnung und schon haben wir ein Werk, dass dem Führer vor Rührung die
Tränen in die Augen treibt: „Der Feldherr“ sollte das Ganze heißen, statt JHWH wählte
man dann doch lieber „Gott“, schon um die Volksfront von Judäa nicht gegen die
Judäische Volksfront aufzubringen, und die Israeliten wurden „das Volk“, dem es
nach Gerechtigkeit und Ausbreitung dürstet. Damit auch alles seine Ordnung hat,
wurde dann auch der Meister selbst noch ein bisschen aufgehübscht, damit aus
Deutschland sucht den Superstar nicht „Er war ein Star, holt ihn da raus!“ wird.
Gut, Photoshop hatten sie damals noch nicht zur Hand, gegen den Bauch ließ sich
also so schnell nichts machen, aber die Biographie hatte noch ein paar
Verschönerungen nötig: Immerhin war Händel ja in allen Biographien bis zur
Machtergreifung quasi übergelaufen und hatte die Englische Staatsbürgerschaft
angenommen. In den späteren Biografien, wie sie ab 1933 auf den Markt geworfen
wurden, ist dies nicht mehr der Fall. Ebenso wurde deutlich herausgestellt,
dass der Meister keineswegs von der englischen Musiktradition beeinflusst
worden war, er hingegen habe maßgeblich daran gearbeitet, den englischen Stil
positiv zu beeinflussen. Kurz gesagt: Die Tatsache, dass wir überhaupt in der
Lage sind, englische Musik zu hören, ohne augenblicklich an Ohrenkrebs dahinzuscheiden,
verdanken wir Händels großartiger Arbeit. Ein bisschen klingt das alles nach
„Ich mach mir die Welt wiedewiede wie sie mir gefällt“, beziehungsweise, um bei
Händel zu bleiben: „Ich mach mir den Fred wiedewiede wie ich ihn gern hätt!“.
Ich weiß nicht, wie es euch geht, liebe Leute, aber „I don’t think I can Händel
this“, wie man so schön sagt.
Nein, meine Beine sind nicht falsch herum angewachsen. Die Löwenfrau und ich haben nur jeweils einen Reitschuh und einen Chap angezogen und die Beine nebeneinandergestellt :)
Bitte WAS soll ich da spielen?!?
Die scheinen das ernst zu meinen!
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