Käfer hört die Signale! - Protestlieder in ihrer Zeit
Protestlieder in ihrer Zeit...ein
Titel, bei dem man zumindest mit den Augen rollen und ausrufen möchte
„Natürlich in ihrer Zeit! Vorher oder Jahre später lohnt es sich
ja wohl kaum, zu protestieren! Würde man in einem Lied gegen etwas
protestieren, das gar nicht existiert, käme man auf so sinnvolle
akustische Entgleisungen, wie etwa „Freiheit für Grönland“, das
man getrost als den Meilenstein bezeichnen kann, an dem Mike Krüger
beschloss, dass der Wegweiser mit der Aufschrift „Klamauk“ ein
sinnvolles Ziel darstellte.
Womit wir gleich beim ersten Punkt
wären: Jedes ernstgemeinte Protestlied entsteht innerhalb der
Gruppe, die es entweder direkt betrifft, die aber zumindest indirekt
damit in Verbindung steht. Möglicherweise schließt dies auch
sympathisierende Gruppen aus anderen Bereichen mit ein. Ist deren
Abstand zur ursprünglich betroffenen Gruppe allerdings zu groß,
verliert der Text zunehmend an Glaubwürdigkeit, wirkt klischeehaft
oder aufgesetzt. Und das selbst dann, wenn Interpreten und Hörer mit
der Grundproblematik durchaus vertraut sind. Wer nicht selbst einmal
mit der Materie in Verbindung kam, persönliche Berührungspunkte
hat, wird aufgrund der fehlenden oder unglücklich gewählten
Identifikationsfigur immer mit der Glaubwürdigkeit seines Textes zu
kämpfen haben. Dem Hörer selbst wird es da ähnlich ergehen, was
erklärt, weshalb kitschige Liebeslieder, Jammerballaden oder Lieder
über ungerechte Behandlung durch einen geliebten Menschen irgendwie
immer gehen: Hierbei handelt es sich um Universalien. Das haben wir
auf die eine oder andere Weise alle schon einmal durchgemacht, da
kennen wir uns aus und fühlen mit. Bei Songs wie „Fritz, love my
tits“ (ja, den gab es tatsächlich. Leider. Wobei sich der
Protestgehalt des Liedes seitens der Dame ohnehin in Grenzen hält)
muss dagegen wenigstes der Beat stimmen, damit man auch dann ein
bisschen mitrocken kann, wenn man selbst ein Mann ist und nicht über
die zu liebenden Körperteile verfügt.
Ein Beispiel für eine schlecht
gewählte Identifikationsfigur, bei gleichzeitig aktuellem und für
die meisten Hörer durchaus nachvollziehbarem Grundthema wäre ein
Song, der es im Jahr 1983 tatsächlich auf Platz 23 der deutschen
Charts geschafft hatte: Karl der Käfer, ein Song der noch nicht
einmal in der Jahre später erschienenen Punk-Version zu beeindrucken
wusste, aufs gruseligste interpretiert von der Band „Gänsehaut“,
einer fokuhilösen, schnauzbärtigen Formation vom Kaliber der Gruppe
„Wind“, die uns zwei Jahre später mit ihrer Schnulze „Für
alle“ bei Eurovision Song Contest (damals noch „Grand Prix
d'Eurovision“) vertreten sollte. Erschreckenderweise sogar mit
Erfolg. Hach, die Perlen der 1980er Jahre... auch irgendwie einen
eigenen Blogpost wert.
Zurück zu dem musikalischen
Insektarium, das uns die Gänsehäutler da auferlegten:
Die Gruppe an sich verstand sich und
ihre Musik als politisch aktiv und machte es sich zur Aufgabe, die
Missstände des täglichen Lebens musikalisch anzuprangern. Nur eben
leider mit Songs wie „Karl der Käfer“ oder „Johanna das Huhn
(Denk an die alten Zeiten nun)“.
Nun stecke ich als Tierschützerin da
in einer gewissen Zwickmühle: Wer versucht, ein weitestgehend
veganes Leben zu führen, jede kleine Ameise in den Garten
zurückträgt, ehe die Katzen sie fressen, und die Netze bei sich
überwinternder Spinnen alle paar Tage mit einem Wasserzerstäuber
benetzt, um die Flüssigkeitszufuhr der Achtbeiner zu gewährleisten,
sollte sich über Lieder gegen den Mißbrauch von Umwelt und Tierwelt
doch eigentlich freuen. Dachte ich zumindest. Bis mir Karl der Käfer
entgegenschallte. Aber mal ehrlich: Einen Song über einen kleinen
Krabbelkäfer, den man ausdrücklich zu fragen versäumte, ehe man
seinen Heimatwald kurz und klein rodete um auf der Fläche ein neues
Wohngebiet zu errichten, den braucht nun wirklich kein Mensch. Und
kein Käfer.
Ja, das mit dem Wald mag schrecklich
sein, aber selbst der größte Müsliaktivist von Robin Wood würde
sich wohl kaum in seinen Norwegerpullover werfen, um ein
Krisengespräch mit einem Einzelinsekt zu führen... „Also, Karl,
dürfen wir die von ihnen bewohnten 2cm³ Waldboden zugunsten eines
Vorstadtgebietes nun gegen das Angebot einer kostenlosen
Ersatzwohnung in einem Blumentopf auf einem Balkon desselben Gebietes
wegbaggern?“ „Also zunächst einmal verbitte ich mir den
vertraulichen Ton. Für Sie immer noch“Herr Karl“! Und was Ihre
Frage betrifft: Ja, natürlich dürfen Sie das. Der Baum über mir
ist ohnehin morsch, was mir ständig feuchte Wände beschert. Nur
gefragt wollte ich nun einmal werden! Soviel Zeit muss sein!“
Wo sind sie hin, die guten alten
Protestlieder, deren Texte man sang (oder mangels Musikalität
notfalls auch skandierte), während man mit Spruchbändern bewaffnet
durch die Straßen zog?
Was ist mit Stücken vom Kaliber eines
„Liedes von der Resolution der Kommunarden“, „Die freie
Republik“, „Trotz alledem“ oder „The Unknown Soldier“
geschehen? Sind deren Notenblätter von Karl und Konsorten
aufgefressen worden? Wohnt da jetzt Michi die Motte drin?
Liegt es vielleicht auch an der
sogenannten Meinungs- und Kunstfreiheit, dass die Texte teilweise
einfach so heruntergeschrieben werden, ohne dass man sich als Texter
die Mühe machen muss, Platitüden und abgenudelte Klischees durch
raffiniert verpackte Mehrdeutigkeiten zu ersetzen oder erst durch die
entsprechende Musikalische Untermalung überhaupt auf den Subtext der
ganzen Geschichte aufmerksam zu machen? Ein vordergründig niedliches Kinderlied
über die Freundschaft zwischen einem kleinen Jungen und einem
Drachen kann, wenn man sich die Mühe macht, auch als Song über die
menschliche Entwicklung und den Umgang miteinander, oder als Lied
über Drogenkonsum verstanden werden („Puff the Magic Dragon“)...
gut, auch da sind wir noch ein paar Meilen von literarischen Vorlagen
wie „Animal Farm“, „Gullivers Reisen“ oder „Alice im
Wunderland“ entfernt, doch das Niveau ist doch schon ein ganz
anderes. Oder muss man Sprachlehrer sein, um sich ein bisschen Mühe
zu geben und wie Sting einen Song im Stil von „They dance alone“
zu schreiben? Richtig gut war ein Protestlied in Zeiten der Zensur
dann, wenn es gelang, das Stück auch in der Öffentlichkeit zu
singen, wobei nur die richtige Zielgruppe wusste, was sich hinter der
Textsymbolik tatsächlich verbarg.
Wenn ich an Nicoles Umweltschnulze „Wenn die Blumen weinen könnten“ denke, drängt sich mir eine verwandte Hypothese auf: "Wenn die Noten weinen könnten"... dann...ja, dann wünsche ich mir glattweg die sogenannten „Montagsdemonstrationen“, bestehend aus 4-6 Altachtundsechzigern und einem Vorsänger mit Wandervogelgitarre, im konservativen Kleinstädtchen meines Vertrauens zurück, die mit Texten wie „Wir wollen kein Hartz IV bekomm, darum sind wir zusammgekomm, es fehlen Arbeitsplätze, nicht Hartz IV Gesetze!“ an meinem Fenster vorbeibrummten und bei welchen ich mich jedesmal zurücknehmen musste, um nicht das Fenster aufzureißen und zu brüllen „Leute, wenn ihr dieselbe Zeit und Kreativität, die ihr in eure Versammlungen steckt, mal in das Ausfüllen von Bewerbungsunterlagen stecken würdet, dann hättet Ihr Arbeit!“... aber wahrscheinlich ist das im Grunde auch nur eine überhebliche und des Protests werte Ansicht von mir, deretwegen mir Bert Brecht im Hauseingang aufgelauert und die Leviten gelesen hätte. Und Karl der Käfer hätte applaudiert.
Finn der Kater würde Karl den Käfer vermutlich einfach auffressen. Ohne zu fragen. Leider.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen