Na dann Halleluja! Weihnachtslieder zur Nazizeit
Lange
ist es her, in einer dunklen Winternacht, in einem einsamen Stall.... nein, Quatsch,
das war eine andere Geschichte, die sich aber ganz wunderbar eignet, aufzuzeigen,
wie schnell man sich in die Nesseln setzen kann, wenn man sich zu sehr mit
höheren Wesen definiert. Das Anbeten unterschiedlichster Personen scheint uns
im Blut zu liegen. Ob wir nun unsere Eltern, Kinder oder Partner vergöttern,
umgerechnet 65 Euro für einen 12-türigen (wtf?!) Adventskalender ausgeben, der
Konfetti, Aufkleber und Keksausstecher enthält, nur weil eine gewisse
Youtuberin ihren Namen dafür verliehen hat, oder ob uns Sonntags im
Gottesdienst ganz warm ums Herz wird, weil alles so überwältigend ist: Wir sind
vermutlich ein Leben lang auf der Suche nach demjenigen, bei dem endlich alles
gut wird, der uns versteht und der uns nie verlässt. Wen wir dabei in unser
Herz lassen, hängt wohl von unserem Elternhaus und unserer Umgebung ab, aber
eines scheint dabei ausgesprochen hilfreich zu sein: Musik.
Musik
gehts ins Herz, spricht Hirnareale an, die auch bei Verliebtheit aktiv sind,
wirft mit Endorphinen um sich, und bindet diejenigen, die den Musikgeschmack
teilen, fester aneinander. Gemeinsam wird musiziert, gemeinsam geht man auf
Konzerte, in Discos und Clubs und sammelt sich dabei in Gruppen, denen man sich
zugehörig fühlt.
Dumm
nur, wenn die gehörte und geliebte Musik nun ausgerechnet die Werte vermittelt,
die man gerne entfernen möchte, aus dem Gedankengut ihrer Hörer.
Nun
könnte man auf die Idee kommen, diese Musik einfch zu verbieten, was ja auch immer
wieder einmal geschieht; Gewaltverherrlichende Musik ist da streitbar, so
genannte „volksverhetzende Musik“ verschwindet meist schneller aus den
CD-Abteilungen und Plattformen, als der Ersteller „Heil Hitler“ rufen kann. Und
das ist auch gut so, versteht mich nicht falsch. Es ist nur so, dass das
Verbieten der Musik allein nicht für ein Umdenken beim Hörer sorgt. „Mach den
Krach aus!“ ist so ein Satz, den wir vermutlich alle in unserer Jugend gehört,
dem wir aber keinerlei weitere Beachtung geschenkt haben. Eher wäre ich im
Alter von 12 Jahren ausgezogen (gut, in diesem Alter hatte ich das ohnehin
jedesmal vor, wenn meine Mutter glaubte, mich erziehen zu müssen), als dass ich
aufgehört hätte, meine Lieblingsband zu hören. Schon das Herunterdrehen der
Lautstärke war eine absolute Zumutung und die Drohung „dann darfst Du nicht zum
Konzert“ löste in mir ungefähr dieselben Gefühle aus, die den Papst überkommen
müssen, den man vom Gottesdienst auszuschließen droht, damit er Zeit hat, über
seine Taten nachzudenken.
Nun
gehört ja ausgerechnet der Papst einer Gruppierung an, die recht bekannt ist
für das Anbeten unterschiedlichster Entitäten, welche allerdings dummerweise
keine Nazi-Machthaber beinhalten.
Ausgerechnet. Und dabei war man im Deutschland der späten 30er Jahre so
schwer damit beschäftigt, das Bild des Königs der Juden durch dasjenige des
Führers der Deutschen zu ersetzen.
Den
folgenden Satz des NSDAP-Ortgruppenleiters Ernst Heine, der sich anlässlich des
Christfests 1939 im „Völkischen Beobachter“ zitieren lässt, können wir in
diesem Zusammenhang unkommentiert stehen und für sich selbst sprechen lassen:
„Wir müssen dafür sorgen, dass Weihnachten nicht die Nacht der Christkind-Weihe
ist, sondern die nationalistische Weihe der Winterwende, wie es unsere
germanischen Vorfahren kannten, ein echtes nationalsozialistisches Weihnachten,
die Deutsche Weihnacht! Heil Hitler!“
Interessant
ist bei dieser ganzen Umdeuterei, wie sehr man sich sprachlich einerseits von
der Tradition der mit „jüdischen Ausdrücken“ gespickten Kirchenlieder
distanzierte, andererseits die eigene Propagandasprache an den Duktus der
sakralen Ausdrucksweise anpasste. Irgendwie erinnert doch das wortgewaltige
„Nationalsozialistische Glaubensbekenntnis“ („Ich glaube
an das deutsche Volk, an ein heiliges, arisches Reich deutscher Nation und an
den Sieg des nationalen Sozialismus in der Welt.....“) an das ein paar
Jahrhunderte zuvor von Martin Luther ins Deutsche übertragene Apostolische
Glaubensbekenntnis („Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den
Schöpfer des Himmels und der Erde....). Viel Neues lernen musste man da nicht:
Reihungen, Versmaß, Themafolgen wurden weitgehend beibehalten.
Auch das
bei Ansprachen vielfach gerufene „Sieg Heil!“ am Ende einer Aussage kam quasi
so sicher wie zuvor das Amen in der Kirche. Was 2000 Jahre lang funktioniert
und Menschen an sich gebunden hat, wirft man eben nicht so einfach über Bord.
„Never change a running system“ hätte man vielleicht gesagt, wenn das nicht zu
ausländisch geklungen hätte.
Und da
kommt dann eben die Musik ins Spiel: Die hatten wir ja bereits als wichtiges
emotionales und ideologisches Identifikationsmittel enttarnt. In seiner
immerhin über 600 Seiten umfassenden Schmonzette „Vom Neubau deutscher
Musikalischer Kultur“ forderte der damalige Dirigent und Präsident der
Reichsmusikkammer, Peter Raabe, Musik müsse „anerkannt werden als das
vornehmste und edelste Mittel zur Erziehung der Volksseele“.
Fragt
sich nur, wie man die Menschen dazu kriegt - Verzeihung: bekommt- , das bisher
beliebte und allseits gesungene Liedgut durch neue Lobgesänge zu ersetzen.
Verbieten bringt nichts, wie wir festgestellt haben. Im Gegenteil: Es fördert
den Widerstand. Menschen lassen sich einfach nicht gerne vorschreiben, was sie zu
tun und zu lassen haben. Ganz besonders, was liebgewonnene Traditionen, wie
etwa Weihnachten, betrifft. Kleinere Veränderungen erfüllen uns mit weitaus
weniger Widerstand, wenn man sie richtig zu verkaufen weiß. Ich weiß, ich bin
ein Mädchen und ein Verpackungsopfer und ein bisschen leicht zu ködern, was
bestimmte Produktkategorien betrifft, aber ich schaffe es von Zeit zu Zeit, ein
Rouge oder einen Lippenstift, dessen Farbe mir noch nicht einmal gefällt, zu
kaufen, weil die Verpackung so cool ist. Und limitiert. Und weil alle anderen
das Zeug auch besitzen und tragen. Und dabei auch aussehen wie Transvestiten an
Rosenmontag. Schlagt zu, ich weiß, ich bin bekloppt, aber Tatsache ist: Das
Sytem funktioniert.
Da traf
es sich doch ganz gut, dass das hier bereits erwähnte „Institut zur Erforschungund Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ noch Kapazitäten frei hatte zwischen seinen Versuchen, die Bibel so
umzuschreiben, dass quasi alles Jüdische herausgestrichen wurde (was ich mir in
etwa so vorstelle, als versuche man, ein Backbuch herauszugeben, bei dem die
Begriffe „Mehl“, „Zucker“, „kneten“ und „°C“ unbedingt zu vermeiden sind*) und sich sogleich ans Werk machte, all die
Begriffe, die die „Knechtung des deutschen Volkes durch die Macht Alljudas“ demonstrieren,
zu entfernen. Und dazu zählen alle jüdischen Namen, wie beispielsweise Jessaia
(Jesse), Matthäus oder zuweilen auch Jesus selbst, Ortnamen wie „Betlehem“,
oder Aussprüche wie „Halleluja“. Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich
hatte ein unwillkürliches „Jesses“ auf den Lippen, als ich das las. Die ganze
Mischpoche muss meschugge oder beschickert gewesen sein, so einen Schmus
zusammenzumalochen.
Da merkt
man doch, wie nahe die Begriffe „Ideologie“ und „Idiotie“ beieinander liegen.
So empfahl der Arbeitskreis „Gesangbuch“ des oben erwähnten Instituts das von der „Nationalkirchlichen Einung
Deutsche Christen“ herausgegebene Gesangbuch Großer
Gott wir loben dich zur Erprobung und Nutzung in den Kirchen. Ein
kleiner Auszug gefällig? Hier also das Original (mit Anmerkungen) und danach
die Fälschung.
Original:
Ihr Kinderlein, kommet, o kommet doch all’!
Zur Krippe her kommet in Bethlehems **Stall,
und seht, was in dieser hochheiligen ***Nacht
der Vater im Himmel für Freude uns macht.
Da liegt es – das Kindlein – auf Heu und auf Stroh;
Da liegt es – das Kindlein – auf Heu und auf Stroh;
Maria und Josef **** betrachten es froh;
die redlichen Hirten knien betend davor,
hoch oben schwebt jubelnd der Engelein***** Chor.
**Jüdischer Ortname
*** Heilig (von: Heil): falsch konnotiert, Heil in Verbindung mit
Hitler, nicht Jesus
**** Jüdische Vornamen
***** Engel setzen Bezüge zum Alten Testament (Jüdische
Volksgeschichte) und sind mit Vorsicht zu behandeln. Hoch oben auf gutdeutschen
Weihnachtsbäumen wurde der Engel, dem man ohnehin immer ein wenig befremdet die
Christbaumspitze unter den Rock polken musste, in vielen Fällen durch ein
Sonnenrad ersetzt.
Fälschung:
Ihr Kinderlein kommet, o kommet doch her
vernehmet zur Weihnacht die uralte Mär
und seht, welch ein Baum trotz der eiskalten Zeit
geschmückt ist mit grünem, lebendigen Kleid.
Das deutet auf uralte Zeiten zurück
und lenkt auf die Sitte der Ahnen den Blick
und lehrt, daß dies Erbe bis heutigem Tag
und weiter in Zukunft bewahrt bleiben mag.
Heimelig, nicht wahr? Da braucht man doch glatt etwas, das den
Blutzuckerspiegel wieder hebt und die Folgen des ersten Schocks beseitigt.
Stollen gibt es allerdings keinen mehr, der wurde durch altnordische
Gebildbrote ersetzt, aber bitte, bedient euch! Auch Neudichtungen gab es,
einige davon noch immer in Umlauf, viele vergessen, die meisten davon zu recht.
Es ist ein wenig so, wie mit den geflügelten Jahresendfiguren der DDR, man weiß
nie so richtig, ob und inwiefern man bestimmte Begriffe oder Gebräuche noch
verwenden darf, wenn die Zeit vorüber ist. Dass so etwas ganz gewaltig in die
Hose gehen kann, bewies der ohnehin schwer einzuordnende Volksmusiker Heino,
als er im Jahr 1969 das von dem Lyriker und NS-Funktionär Hans Baumann
gedichtete Jul-, also Neuweihnachts-Lied „Hohe Nacht der klaren Sterne“ auf
Schallplatte presste. Es hat eben alles seine Zeit. Und manchmal ist es höchste
Zeit, nicht zum Konzert zu gehen, sondern zuhause zu bleiben und über seine
Taten nachzudenken. Danke, Mama.
*Die
Nazi-Neuausgabe des Neuen Testaments kann man übrigens unter dem Titel „DieBotschaft Gottes“ finden
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