Auf diese Steine können Sie bauen! Wie man allen Widrigkeiten zum Trotz doch noch zu einem eigenen Theater kommt


Auf diese Steine können Sie bauen!
Wie man allen Widrigkeiten zum Trotz doch noch zu einem eigenen Theater kommt

Über den Architekten Gottfried Semper wird zuweilen behauptet, er habe sich erst an der bürgerlich-demokratischen Revolution in Sachsen beteiligt, als ihn die äußeren Umstände in Form seiner demokratisch gesinnten Freunde dazu zwangen und sei somit quasi schuldlos „entsachst“, also aus dem Freistaat verbannt und zum Staatsfeind erklärt worden.
Dass die Tatsachen etwas anders liegen beweist unter anderem eine Schrift Richard Wagners, in der er erklärt, Semper sei bereits vor Ausbruch der Kämpfe Mitglied einer Gruppierung gewesen, deren „entschiedenen demokratischen Geist“ er teilte.
Geteilt haben die beiden außer einem demokratischen Kampfgeist auch die Tatsache, dass sie in ihrer Heimat nicht länger erwünscht waren und sich eine neue Wirkungsstätte suchen mussten.
Dass sie knapp zwanzig Jahre später in Bayern beinahe zusammenarbeiten würden, dass diese Idee gründlich in die Binsen ging und dass ausgerechnet die sächsische Hauptstadt Dresden aufgrund dieser Wendung die Semperoper und Bayreuth im Gegenzug das wagnersche Festspielhaus erhalten sollte, verdanken wir also einem Revolutionsversuch, der von weit weniger Erfolg gekürt war als die beiden Bauvorhaben.
Wer sich schon immer eine Aufführung im Bayreuther Festspielhaus gewünscht hat, sich aber weder die Kartenpreise noch die Wartezeiten antun möchte, der kann ganz einfach einen Gang in die Semperoper einlegen. Denn eigentlich betritt man damit auch gleichzeitig Richard Wagners Festspielhaus. Allerdings nicht in der griechisch-antik anmutenden Bayreuther, sondern in der zuvor geplanten weitaus pompöseren münchner Variante. Wir gehen also quasi im Festspielhaus ein und aus, wir wissen es nur nicht.

Ursprünglich war nämlich Gottfried Semper, Wagners alter Revolutionskumpane und Barrikadenbauer, vom zweitgrößten aller Wagner-Fanboys (der erstgrößte wäre der Herr mit dem Schnuppelbärtchen, dessen Namen wir hiermit tunlichst totschweigen), dem Bayernkönig Ludwig II damit beauftragt worden, Wagners Opernhaus an den Isarauen in München zu entwerfen, samt Nebengebäuden und zuführenden Prachtstraßen. Ein Mammutprojekt, das den König aller Häuslesbauer zwar begeisterte, der weiteren Regierung, dem Stadtrat, sowie der königlichen Restfamilie jedoch weit weniger zusagte. Abgesehen davon, dass Wagner im Dezember 1865 aus Bayern ausgewiesen werden musste (auch dies gegen den eigentlichen Willen des Bayernkönigs) und somit kein Münchner Theater mehr betreiben konnte, war der Bau zu groß, zu teuer und insgesamt nicht realisierbar. Dies entbehrt allerdings nicht einer gewissen Komik, wenn man bedenkt, dass Wagner „sein“ Festspielhaus zunächst als einfach, frei von allem Tand und Geschnörkel, und notfalls auch aus Holz ersann.
Mit den Münchner Bauplänen in der Tasche machte sich der nun ohne Auftrag dastehende Architekt Semper auf, das nur zwei Jahre später abgebrannte Opernhaus in Dresden durch einen schmucken Neubau zu ersetzen: Die heutige Semperoper. Das Gebäude, das einmal Wagners Festspielhaus hätte werden können, wenn man dem Luggi denn seinen Willen gelassen hätte.
Dieser blickte einmal traugig auf sein eingestaubtes Architektenmodell und sagte sich „Also gut, wenn euch mein Opernhaus denn zuviel Tamtam gewesen ist, dann baue ich mir jetzt eben Neuschwanstein. Dann könnt ihr mal sehen, was echte Geldverschwendung ist!“


Aber seien wir doch mal ehrlich: im Grunde handelt es sich beim Bayreuther Fetspielhaus um einen vergleichsweise einfach gehaltenen und im Vergleich zu anderen Anlagen relativ kleinen Bau, dessen jährliche Spielzeit begrenzt ist, tatsächlich sogar immer wieder jahrelang vollkommen flachfiel und dessen Repertoire an Umfang, sagen wir mal, zu überbieten ist.
Was genau ist denn nun also das Besondere an Wagners Festspielanlage?

Die Tatsache, dass ein notorischer Pleitegeier, der sein Leben lang von geliehenem Geld lebte (und wir sprechen hier von der sorte „ausleihen“, die man durchführt, wenn man sich von seinen Eltern 10 Euro, eine Tasse Zucker oder eine Rolle Toilettenpapier leiht: Mögen die Absichten auch noch so redlich sein, am Ende gibt man noch nicht einmal die Tasse zurück. Vom darin befindlichen Zucker ganz zu schweigen.), dass ein Mensch, dessen Gläubiger ihn dazu brachten, fluchtartig das Land zu verlassen, und der Zeit seines Lebens auf das angewiesen war, was ihm seine Gönner zusteckten, es schaffte, ein eigenes Theater bauen zu lassen, in dem dann tatsächlich auch nur seine eigenen Stücke aufgeführt werden? Aber gut, das kennen wir ja von Wotan, dem Obermotz der Nibelungen (oder Wölsungen oder Schiefgesungen, wer weiß das schon so genau), der ebenfalls keine Ahnung hatte, wie er sein überdimensioniertes Einfamilienhäuschen in Asgard jemals abbezahlen sollte und mangels weiterer Sicherheiten ganz einfach seine eigene Schwägerin verpfändete,womit er quasi den gesamten Ring und damit die Notwendigkeit einer Wagnerspielstätte erst in Gang setzte.

Oder ist es vielleicht eher der Fakt, dass der selbe Herr Wagner, der als Revolutionär und Antiroyalist nicht nur aus Sachsen, sondern später auch aus dem Königreich Bayern ausgewiesen wurde, der ein Theater plante (und verwirklichte), das mit seiner griechisch-antiken (und damit an die Erfinder der Demokratie erinnernden) Amphitheaterform die bisher gewohnten Ränge und Plätze außer Kraft setzte, der Klimbim und Schnörkel, Blattgoldbepinselung und pausbäckige Puttenfiguren hasste, der dafür sorgte, dass sowohl König wie auch Bettelmann (ok, steinreicher Bettelmann) auf Holzbänken saßen (und das bekanntlich stundenlang – erfahrene Wagnerianer erkennt man in Bayreuth daran, dass sie stets eine Ausrüstung bei sich führen, als ob sie zum Campen an den Fichtelsee wollten: Ein Kissen für den Allerwertesten, ein Hörnchen für den Nacken und eine Jacke mit möglichst vielen Innentaschen, in welchen man allerlei Speis und Trank schmuggeln und klammheimlich zwischen die Kiemen schieben kann), dass also ausgerechnet der Typ Mann, dem man als König zuallererst in die Kehrseite treten möchte, auf die Idee kam, sich sein Opernhaus vom Bayernkönig Ludwig, dem König aller blattgoldverzierten Schnörkel finanzieren zu lassen?

Möglicherweise ist es aber auch die Methode, mit der das Theater tatsächlich (zumindest teilweise) auf die Beine, bzw die Säulen gestellt wurde: Richard Wagner war nämlich nicht nur erfinderisch, wenn es darum ging, ganz neue Opernarten auf die Bühne zu stellen, Orchester und Bühnenmaschinerie verschwinden zu lassen oder seine zahlreichen Affären vor seiner Frau zu verstecken, er war auch der Erfinder einer ganz neuen Finanzierungsmethode: des Crowdfundings.
Fans, die an den Erfolg des Hauses glaubten, hatten die Möglichkeit, sich am Baupreis zu beteiligen und erhielten dafür die Rechte, sich das fertige Produkt im Rahmen einer, beziehungsweise pro „Zahlungsbeteiligung“ dreier Opernaufführungen anzusehen. Wer heutzutage seit gefühlten 50 Jahren auf der Warteliste für Parzifal steht ( die durchschnittlichen Wartezeiten betragen für Premieren etwa 14, für gewöhnliche Feld-, Wald- und Wiesenvorstellungen etwa 6-8 Jahre), würde vermutlich sofort einen Schuldschein für eine weitere Sitzreihe, ein paar hundert Quadratmeter Theatermusselin oder eine Klimaanlage (die vermutlich beste Investition in diesen sommerlichen Brutkasten) ausfüllen. Da hatte der Komponist tatsächlich etwas aus seinem Leben gelernt: Wie man Schulden macht und anderen Leuten das Geld aus der Tasche zieht, das wusste er. Allerdings verkauften sich die Anteile an seinem Theaterprojekt dann doch eher wie Semmeln von vorgestern, so dass der bayerische König dem Projekt dann doch wieder mit einem Kredit unter die Arme greifen musste, für den er sich ein eigenes Theater hätte bauen lassen können.

Zu den Dingen, die den meisten Besuchern am stärksten in Erinnerung bleiben, dürfte jedoch eine ganz andere Sache stehen: Die Tatsache, dass das Theater so etwas wie einen doppelten Boden besitzt und so einen Raum unterhalb des Zuschauerraums schafft, in dem das Orchester verschwindet wie ein Ass im Ärmel eines Zauberers: Bis zu zwölf Meter tiefer als der Zuschauerraum liegt der Orchestergraben, sowohl von der Bühnenseite als auch von der des Publikums her zusätzlich durch eine Abdeckung getrennt, die es dem Klang nur im mittleren Bereich erlaubt, nach oben zu wandern.
In seiner Rede zur Grundsteinlegung erklärte Wagner, er habe sich den „geisterhaften“ Ton so gewünscht und aus dieser Notwenigkeit heraus quasi den gesamten restlichen Aufbaus des Raumes abgeleitet. Das ist nachvollziehbar, da mehrere Reihen von Logen oder eine breitere Aufteilung des Parkettraumes möglich gemacht hätten, das Orchester quasi aus der Vogelperspektive doch noch zu sehen, oder einen Blick in die Seiten der Bühne zu erhaschen, so dass die nicht unerhebliche Bühnenmaschinerie aus dem Augenwinkel heraus sichtbar gewesen wäre. Und das galt es zu verhindern.
Ganz neu war die Idee nicht, denn einige der Dinge, welche die spezielle Architektur des Festspielhauses ausmachen, hatte Wagner bereits während seiner Zeit in Riga kennengelernt, und selbst das Ideal eines unsichtbaren Orchesters war denjenigen, die Johann Wolfgang von Goethes Roman von Wilhelm Meisters Lehrjahren gelesen hatten (ein Werk, das sich für Wagnerianer ausgezeichnet eignet: Es besteht aus insgesamt acht Büchern, so dass man die mitbegrachten Popolsterkissen und Nackenhörnchenganz wunderbar nutzen kann), bereits begegnet. Wenn auch nur in der Theorie eines leicht seltsamen, von Baroness Natalie „Oheim“ genannten alten Mannes, der eben dieser Natalie zufolge erklärt, er wolle auch bei Instrumentalmusiken die Orchester „soviel als möglich versteckt haben, weil man durch die mechanischen Bemühungen und durch die notdürftigen, immer seltsamen Gebärden der Instrumentenspieler so sehr zerstreut und verwirrt werde. Er pflegte daher eine Musik nicht anders als mit zugeschlossenen Augen anzuhören, um sein ganzes Dasein auf den einzigen, reinen Genuß des Ohrs zu konzentrieren.“
Kurz: Das komische Gefuchtel der Steicher, die aufgeblasenen Backen der Bläser und das Zauberstabegewirbel des Dirigenten (dessen Fuchteleien allerdings weit weniger verstörend sind als die Tatsache, dass er seinen Fetisch für Ringelsweatshirts vor versammeltem Orchester auslebt), lenken von der eigentlichen Musik ab, die ja schließlich für die Ohren und nicht für die Augen gemacht ist (oder zumindest war, Luig Nonos Streicher turnten damals ja noch nicht durchs Publikum).
Bei Wagner lenkten sie erstens auch vom Bühnengeschehen ab und hörten sich ohne Deckel auch weitaus weniger geisterhaft an, denn erstens könnte man sonst ja klar ersehen, wo die Musik herkommt und zweitens sorgt die Höhlenatmosphäre nebst Klangverdunklung mittels weiterer dämpfender Materialien im Orchester für den typischen „Bayreuther Mischklang“, der Wagner alledings ganz offenbar weit weniger wichtig war, als das Verstecken de Musiker. Ostern in Bayreuth. Wer den Fagottisten findet, darf ihn behalten.

Im Grunde ist es ohnehin ein Wunder, dass das Festspielhaus jemals auch nur seine Grundsteinlegung erlebt hat. Von dem, was Wagner zunächt als notfalls aus Holz gebaute Klitsche plante bis zu dem Backsteinbau, dem von der Stadt Bayreuth extra ein Stück Land „auf dem grünen Hügel“ zur Verfügung gestellt wurde und dessen Bühnenmaschinerie so ziemlich alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte, war es ein mehr als weiter Weg, auf dem die meisten Wanderer irgendwann ihren Rucksack geworfen hätten. Nicht jedoch Wagner, der sein Leben gleich einem unendlichen Walkürenritt inszenierte: Kaum lag wieder einmal alles in Scherben, war eine weitere Schlacht verloren, kamen sie angeritten: Schwertleite, Wellgunde, Leitplanke und Steckdose und wie sie alle heißen, sammelten die Leichen auf, schleppten sie nach Walhalla und hinterließen einen einigermaßen bereinigten Schauplatz, auf dem die Schlachten wieder neu geplant werden konnten.
Schöner scheitern mit Richard Wagner. Wir freuen uns auf sie. Guten Abend!


                                Im Carl-Maria-von-Weber-Museum


                                und in den Richard-Wagner-Stätten in Graupa



                                 Noch ist es "Iggy", aber eines fernen Tages wird es Yggdrasil werden :)









Verwendete Materialien:

Martin Geck, Richard Wagner. Biographie, Siedler-Verlag o.O., 2012, Kindle-Ausgabe.

Heinz Häfner, Ein König wird beseitigt. Ludwig II. Von Bayern, Verlag C.H. Beck, München 2008.

Laurenz Lütteken (Hrsg.), Wagner Handbuch, Bärenreiter/Metzler, Kassel/Stuttgart, 2012.

Nike Wagner, Wagner Theater, Suhrkamp Verlag, Berlin, 1999.


Evan Baker, „Richard Wagner and His Search for the Ideal Theatrical Space“, in: Opera in Context. Essays on Historical Staging from the Late Renaissance to the Time of Puccini, Amadeus Press, Portland, Oregon.

Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, online unter: http://www.gutzitiert.de/wilhelm_meisters_lehrjahre-johann_wolfgang_von_goethe-kapitel_97.html, Stand: 20. April 2017.


Jonas Traudes, Richard Wagner und das unsichtbare Orchester, unter: https://www.academia.edu/3075368/Richard_Wagner_und_das_unsichtbare_Orchester, Stand: 23. April 2017.

Das Festspielhaus – Ort der Musik, unter: https://www.bayreuth.de/tourismus-kultur-freizeit/sehen-und-erleben/festspielhaus/, Stand: 23 April 2017.

Handreichung zu Richard Wagner. Das Werk seines Lebens, unter https://schulmusik-online.de/anlagen/swr/WAGNER-Richard.pdf, Stand: 22. April 2017.




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