tot oder unlebendig - Reger, Bach und Emerson
Bei
all den Dramen um die großartigen Musiker, die in diesem Jahr schon
ihr Stimmgerät abgegeben haben (Otis Clay, David Bowie, Glen Frey,
Black, Pierre Boulez, Keith Emerson, Nikolaus Harnoncourt, um nur
einige zu nennen, und das, obwohl das Jahr erst 3 Monate abgefeiert.hat.. ich bin
versucht, Leonard Cohen, Helmut Lachenmann und, da die Sterberitis
derzeit ja auch jüngere Jahrgänge umfasst, Sol Gabetta, Leibwächter
mit Knoblauch und Kreuzen an die Seite zu stellen), da vergisst man
doch allzuleicht, dass es auch ein paar freudige Ereignisse zu
feiern gibt.
In
den letzten Jahren waren es gleich mehrere Bachs, die ihre Ehrentage
begingen und der Reihe nach die 300er-Schallmauer durchbrachen,
zuletzt Johann Sebastian selbst, der im letzten Jahr denn 330.
feierte.
So
richtig krachen lassen wird es der Herr Bach vermutlich erst bei
seinem 333. und, da es sich um eine Schnapszahl handelt und der liebe
JoSe diesem Getränk ohnehin nicht abgeneigt war (von seinem
Ältesten wollen wir an dieser Stelle gar nicht sprechen, der bekommt
ein Glas Kindersekt in die Hand gedrückt und der erste, der ihm
verrät, was Sache ist, fliegt in hohem Bogen auf den
Thomaskirchhof), wird man vermutlich noch Generationen später
rufen "Drei-drei-drei, bei Jojos Zecherei!". Immerhin
gelang es ihm, im Rahmen einer simplen Orgelabnahme innerhalb weniger
Tage einen Betrag von über 15 Talern, was heutzutage beinahe 1.100 € entspricht, für Branntwein, Tabak und seine
geliebten Schälchen Heesn auf den Kopf zu hauen. Zusätzlich zu den 30 Talern, die er als Honorar ohnehin einsackte, versteht sich.Und damals waren die Bachs nur zu dritt gereist.
Ob
sich die Damen und Herren vom Bach-Archiv bewusst sind, was sie sich
da ins Bosehaus geholt haben? Vielleicht sollten sie vorsorglich
schon einmal eine Crowdfunding-Aktion ausrufen.
Nun
gibt es neben den Geburtsjubilaren auch noch die Künstler, die zwar
in diesem Jahr, allerdings in einem anderen Jahrhundert das Zeitliche
gesegnet haben, was es trauernden Musikfreunden ermöglicht, ihren
Schock zu überwinden und sich angemessen auszutrauern, auch wenn die
Vorstellung, überhaupt einen Todestag zu feiern, also quasi eine
Flasche aufzumachen, weil ein anderer den Klavierdeckel für immer
geschlossen hat, ohnehin eine große Gratwanderung ist.
Max
Reger ist so ein Fall. Mit einem Jahrhundert Unterschied hat er vor
ziemlich genau hundert Jahren das Zeitliche gesegnet. Und, als wenn
das für ihn nicht schon dumm genug gelaufen wäre, bliebe da noch
die Tatsache, dass der gute Mann mit demselben Jahrhundert
Unterschied auch in meinem Geburtsjahr das Licht der Welt erblickte.
Sprich: Würde ich es darauf anlegen, genauso alt wie Max Reger zu
werden, hätte ich noch knapp 6 Wochen zu leben. Nun habe ich mich in
der letzten Zeit ja des öfteren ein wenig alt gefühlt, aber das
schlägt dem Fass den Boden aus. Ehrlich.
Was
Reger mit den bechernden Bächen verbindet, ist unter anderem seine
Liebe zur Orgelmusik. Sauschwerer Orgelmusik, wie ein sonst recht
wohlgelaunter Bekannter einst zähneknirschend und mit ziemlich
grimmigem Gesichtsausdruck bemerkte. Ich zog es daher vor, ihn in
aller Ruhe weiterüben zu lassen. Wer mich kennt und weiß, wie
schwer es mir fällt, eine derartige Gelegenheit zu Kalauern und
Fiesheiten ungenutzt verstreichen zu lassen, kann sich ungefähr
vorstellen, wie schwer das besagte Orgelstück gewesen sein muss.
Regers
Musik wurzelt in vergangenen Zeiten; im Barock, in der Klassik,
vermischt sich mit der Klangwelt von Wagner, Brahms und anderen
ebenfalls verstorbenen Komponisten und holt sich unterwegs ein paar
ganz eigene, aufgebrochene Harmonien und regersche Spezialklänge mit
ins Boot. So gesehen wäre er sicherlich ein guter Neoklassizist
geworden, wenn er sich denn ein wenig zurückgehalten hätte, mit der
Sterberei. So aber muss er mit den Romantikern am Tisch sitzen und
bekommt keinen Nachtisch. Dafür aber eine Sonderausstellung.
Das
Bach-Museum in Leipzig hat dem guten Herrn nun eine solche gewidmet.
Unter dem Motto »Alles, alles verdanke ich Joh. Seb. Bach!« wurden
wertvolle Stücke aus der Sammlung des Karlsruher Max-Reger-Instituts
nach Leipzig verfrachtet und sind noch bis zum 23. Oktober im
Bosehaus am Thomaskirchhof in Leipzig zu sehen. Den Flyer zurAusstellung verlinke ich hier.
Der
Raum für die Sonderausstellungen ist zwar nicht besonders groß und
die Ausstellungsfläche somit begrenzt, allerdings gibt es trotz
allem eine Menge interessanter Dinge zu sehen.
Ein
bisschen wie ein Maze Runner fühlt man sich, wenn man sich zwischen
den Zwischenwänden bewegt (Links sind Wände, rechts sind Wände,
und dazwischen Zwischenwände... ) um sich von Text zu Text
vorzuarbeiten und dabei von Erstdrucken zu Autographen, Briefen zu
Fotos und Konzertprogrammen und wieder zurück zu wandeln. Oder wie
Alice im Spiegelland, denn die Rückseiten dieser Texttafeln sind
verspiegelt und schaffen damit ganz neue Bezüge der einzelnen
Informationsinseln zueinander. Was also auf den ersten Blick aussieht
wie ein Text über Bach, entpuppt sich möglicherweise bei genauerem
Hinsehen als Spiegelung und ist am Ende doch wieder die Rückseite eines Regers (beinahe hätte ich "Hinterseite" geschrieben, doch das hätte man unter Umständen falsch verstanden). So hängt
eben irgendwie alles zusammen und greift ineinander.
Mal wieder eine Fuge, wie man sie von Bach ja kennt. Eine Spiegelfuge, um genau zu sein.
Also wieder ein ganz altes Element in der hochmodern wirkenden Ausstellung.
Nichts stehts für sich selbst, alles ist Teil eines größeren Bezugssystems. Bei Bach und Reger, bei den
musikalischen Elementen und bei den Besuchern, die Teil dieser
Spiegelwelt werden und ihre eigenen Reflexionen im Raum verteilen.
Sind wir nicht alle ein bisschen Reger?
Und
wer Reger ohnehin schon kennt, kann sich mit demselben Ticket auch
noch in die Etagen der bachschen Dauerausstellung begeben, Rezepte
für die Herstellung von Eisengallustinte abschreiben, virtuelle
Notenblätter nach Übereinstimmungen untersuchen und sich ein
bisschen Musik aufs Ohr knallen.
Sonderausstellungen
des Bacharchivs sind ja immer so ein bisschen Leipziger Roulette, was
den Informationsgehalt angeht (die Schuhkartonaquarien der
Kinderbastelgruppe fand ich zwar hübsch, aber eine Seminararbeit in
historischer Musikwissenschaft über das Thema der Bach mit dem Blubb
wäre vermutlich nicht besonders gut angekommen), diesmal jedoch
kommt man aus dem Gucken und Lernen gar nicht mehr heraus, wird also
sicher nicht enttäuscht. Und wenn doch, kann man sich unten im
Gloria einen Doppelten bestellen oder, falls sein Kaffee-, nicht aber sein Wissensdurst gestillt ist, im Hof herumlungern und warten,
bis sich ein Mitarbeiter aus der Forschungsabteilung auf den Weg
macht, um mittagessen zu gehen. Die wissen eine Menge, haben einen
Haufen zu erzählen und sind viel zu höflich, um den Besucher vors
Schienbein zu treten und sich den Weg freizuboxen (Ok, wir wissen es alle: Nicht zuhause nachmachen! Fremde Menschen darf man nicht belästigen :) ). Oder man geht in
die Thomaskirche um sich an Bachs Grabplatte auszuweinen und folgt
dann der Leipziger Notenspur an anderen Komponistenhäusern entlang
zum Grassi-Museum, ungewöhnliche Musikinstrumente gucken. Was die
Musik angeht, hat die Stadt Leipzig ja einiges zu bieten.
Neben Bach
und Reger lebte auch Robert Schumann an der Pleiße (in die er
allerdings nicht springen wollte, damit hat er gewartet, bis er sich
am Rhein befand und nach den Flusstöchtern tauchen ging...ich weiß
ja nicht, wie gefährlich die Pleiße so ist, aber selbst als er,
entgegen seiner Hoffnungen, nicht zum Kapellmeister des Gewandhauses
berufen wurde, schien sie ihm nicht attraktiv genug, um Bekanntschaft
mit ihren Untiefen zu machen. Statt dessen zog er es vor, die Stadt
zu verlassen), Telemann ärgerte hier den Herrn Kuhnau, indem er ihm
Musiker wie Zuhörerschaft nahm und mit fetzigen Opern und einer
guten Bezahlung lockte...tja und die Oper selbst war das erste
bürgerliche Opernhaus im "Osten", das zweite in ganz
Deutschland und das dritte in ganz Europa. Auch wenn es sich nicht
um dasselbe Gebäude handelt, in dem heute gefiedelt und gefeiert
wird.
Wer
Zeit und Lust hat, sucht sich am besten einen der Tage heraus, an dem
man auch im Bachmuseum ein bisschen fiedelt. Veranstaltungen im Sommersaal sind besonders zu empfehlen, wer es allerdings schafft, sich bis zum Juni zurückzuhalten, kann gleich noch das Bachfest mit seinen zahlreichen Konzerten mit einsacken (Veranstaltungen verlinke ich hier). Vielleicht sieht man
sich ja im Gloria, wo der Kaffee süße schmeckt und das Fröeken
Finemang Blogposts in den Laptop hämmert. Mal guggn, wie der alte
Bach sagen würde.
Der Jojo neben dem, was sein Haus wäre, wenn man es nicht längst abgerissen hätte :)
Der Turm der Nicolaikirche. Wenn man den erreicht hat, ist es nicht mehr weit zum Thomaskirchhof.
Das Deckengewölbe der Thomaskirche. Wunderschön und mein Handyhintergrund :)
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