Das Trauma des 20. Jahrhunderts - Krieg und Grausamkeit in der Musik
Der zweite Weltkrieg
war ein traumatisierendes Ereignis für Kunst, Literatur und Musik.
Ein nicht
unerheblicher Teil der aus Deutschland und Österreich stammenden so
genannten „entarteten“ Künstler, Schriftsteller und Musiker
hatte das Land verlassen oder war aufgrund seiner Haltung dem
NS-Regime gegenüber kaltgestellt worden, mit Aufführungsverboten
belegt, durftee nicht verlegt oder verkauft werden („Innere
Emigration“).
Nach Kriegsende gab
es also einen geradezu gewaltigen Aufholbedarf in Europa. Und Nach
den „Aufräumarbeiten“ der Reichskammer der Bildenden Künste
waren die Galerien leer (zumal ja auch viele der alten Werke und
Kunstschätze noch nicht an ihren ursprünglichen Platz zurückgekehrt
waren), die Reichsmusikkammer war ja ebenfalls nicht gerade für ihr innovatives Musikverständnis berühmt, die Ensembles spielten somit weiter das Vorkriegsmaterial, junge Leuten war
nach neuen Werken und nach Aufklärung sowieso .Und ehe man mich
jetzt in der Luft zerreißt: Es ist mir durchaus bekannt, dass es
Leute gab, die kaum etwas zu essen und kein richtiges Dach über dem
Kopf hatten, doch das sind zeitgleich stattfindende Phänomene, die
es übrigens auch heute noch gibt und für die ein Musikblog nicht
die richtige Anlaufstelle ist.
Zurück zur Musik
also: Schoenberg (vormals „der Mann mit Ö“, falls mal ein cooles
Pseudonym für ihn gesucht werden sollte), Weill, Kreißler... sie
alle hatten sich in den USA mittlerweile so gut eingerichtet, dass
sie es vorzogen, dort zu bleiben und ihrer (leider elitären) kleinen
Gemeinschaft zu frönen, aus der man übrigens aus ebenso
oberflächlichen Gründen ausgeschlossen werden konnte, wie es zuvor
in Europa gelaufen war (wen das Thema interessiert: Mary Baumeister
beschreibt, wie sie mit Stockhausen in den USA in Gespräche darüber
verwickelt worden war, dass die Schwarzen keine Weißen bei sich
duldeten, aber wenn schon weiß, dann sollten es wenigstens Deutsche
sein, denn die fänden ja immerhin die Juden auch doof, was für eine
gewisse gemeinsame Ebene sorgte...man weiß gar nicht, ob es sich da
überhaupt noch lohnt, sich am Kopf zu kratzen, oder ob man ihn
schon mit Schwung auf die Tischplatte knallen sollte...)
Kurz: Von vielen der
großen Meister war in Europa nichts mehr zu erwarten, sie hatten
Professuren in den USA oder lebten gut von dem, was sie aufgebaut
hatten. Und denjenigen, die tatsächlich zurückkehrten, gelang es
oft nicht, an das Alte anzuknüpfen, da n Westeuropa ganz einfach die
Übergangszeit fehlte. 20 Jahre Kunst- und Musikgeschichte waren von
den Nazis quasi ausradiert worden, Weiterentwicklungen hatten
anderorts stattgefunden und wer nun versuchte, etwas anzuschließen
musste merken, dass quasi der Stecker gar nicht mehr passte, um mal
im Elektriker-Jargon zu sprechen. Bernd Alois Zimmermann hatte das
Musikstudium während des Krieges eingestellt und war eingezogen
worden. Nach dem Krieg steckte er mehr oder weniger in einer
Zwickmühle fest: Zu alt, um die radikal-ablehnende Haltung der
jungen Avantgarde gegen alles Althergebrachte nachzuvollziehen,
andererseits zu jung, um sich zuvor einen Platz in der Musik der
20-er und frühen 30-er Jahre erarbeitet zu haben. Dass er sich 1970
schwer depressiv das Leben nahm, kann man im Hinblick auf diese
Entwicklung interpretieren, muss es aber nicht, denn er schaffte das,
was viele andere nicht durchzuhalten vermochten und fuhr einfach
seinen eigenen Stiefel weiter.
Kaum, so schien es,
war man der Verfolgung entronnen, begann man sich zu langweilen und
ganz einfach gegenseitig ein bisschen fertigzumachen. Traumatische
Kriegserlebnisse waren etwas, das die Komponisten der Zeit alle
irgendwie teilen konnten, die Verarbeitung derselbe war wiederum
individuell und somit von anderer Seite angreifbar. Karlheinz
Stockhausen hatte beide Eltern verloren, seine Mutter, die unter
Depressionen litt, war in der Nazi-Tötungsanstalt Hadamar tja...wie
soll man so etwas nennen...“entsorgt“ worden. Psychisch kranke
Menschen hatten keinen Platz in der perfekten Welt, ebensowenig wie
Menschen mit körperlichen Behinderungen. Sein Vater Simon hatte den
Auftrag, ehemalige Kameraden, die versucht hatten, aus der Armee zu
fliehen, zu erschießen. Dass er dabei seinen besten Freund töten
musste, dessen letzte Worte an ihn gerichtet waren und „nun schieß
doch endlich, Simon!“ lauteten, erzählte er seinem Sohn, ehe er
sich mit den Worten „Junge, ich komme nicht wieder“ auf seinen
letzten Weg an die Front machte. Karlheinz Stockhausen selbst war zu
dieser Zeit zu jung, um eingezogen zu werden, arbeitete statt dessen
in einem Lazarett, wo er die Schwerverletzten aussortieren und hinaus
in die Kälte tragen musste, um die Betten für diejenigen frei zu
machen, die die besseren Chance hatte, kampffähig wiederhergestellt
zu werden. Dass so etwas nicht spurlos an einem Menschen vorübergehen
kann, ist klar. Die Art, in der er diese Erlebnisse in seiner Musik
verarbeitete, ist jedoch für einen unbedarften Zuhörer, der nicht
in die Zahlensymbolik, Berechnungen und Sinustöne eingeweiht wurde,
kaum, beziehungsweise vermutlich überhaupt nicht zu erkennen. Wobei
man sich natürlich auch fragen muss, ob es die Aufgabe eines jeden
Künstlers ist, die Gesellschaft aufzurütteln und dazu so einfache
Mittel zu wählen, dass sie auch der letzte Gartenzwerg begreift.
Vergleicht
man Stockhausens „Momente“ mit der Musik Luigi Nonos, so fällt
der weitaus offenere pädagogische Anspruch Nonos auf. Als man ihn
Mitte der 70er Jahre damit konfrontierte, seine Musik sei stiller,
„innerer“ geworden, wehrte er sich entschieden und betonte, Musik
solle «Das
Ohr aufwecken, die Augen, das menschliche Denken, die Intelligenz,
die grösstmögliche entäusserte Innerlichkeit. Das ist heute das
Entscheidende.» Musik hat also immer auch eine erzieherische
Aufgabe.
In
vielen seiner Werke setzte er sich mit Unterdrückung, Revolutionen,
Kriegen und Machtausübung auseinander. In den 60er Jahren war er
einer der wenigen Künstler, die Themen wie Auschwitz in ihre Musik
aufnahmen (Mikis Theodorakis gehört ebenfalls dazu, aber dessen
Leben würde hier den Rahmen sprengen. Da der gute Herr allerdings in
fast genau 2 Monaten seinen 90. feiert, wird er auch hier noch
ausführlicher besprochen werden). Was Nono (wie Theodorakis übrigens
auch) von Anfang an drauf hatte, war die Auswahl geeigneter Texte.
Gut geschrieben, klischeefrei, authentisch, das Zeug geht an die
Nieren. Wer sich näher damit beschäftigen will, sollte sich
„Intolleranza“ anhören: Eine Oper ohne wirkliche
zusammenhängende Handlung, dafür aus Einzeltexten aufgebaut, die
alle von gescheiterten Revolutionsversuchen erzählen. „Intolleranza“
verlinke ich euch hier, „Come una Ola de Fuerza y Luz“, das Stück, das sich mit dem
Tod des marxistischen chilenischen Revolutionärs Luciano Cruz
Aguayo, einem Führer der MIR-Partei, die die Idee eines
kommunistischen Chile auch nach dem Putsch durch Allende 1973 nicht
aufgeben wollte, auseinandersetzt, verlinke ich hier.
Nun
mag man zu radikal-marxistisch-leninistischen Parteien und
Revolutionen stehen wie man will (Nono selbst war überzeugter
Kommunist), aber seine selbstauferlegte politische Verantwortung hat
Luigi Nono in einem Ausmaß wahrgenommen, dass man eigentlich nur
noch nach Luft schnappen kann, wenn man es denn bei so viel
musikalischer Gewalt überhaupt noch fertigbringt, zu atmen.
Und
weil es neben aller Gewalt ja auch immer noch so etwas wie die Liebe
gibt, werfe ich mal schnell mit einem letzten Link um mich und
verweise auf eines der (meiner Meinung nach) schönsten Stücke von
ihm: Das Liebeslied.
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