Ich mach mir die Welt widewidewie sie mir gefällt - historische Musikforschung und Weltbild
Im Zuge der historischen Musikforschung kommen über die Jahre eine
Menge Fakten aus dem Leben derer Musiker und Komponisten ans Licht,
die längst nicht mehr unter uns weilen und somit nicht mehr selbst
befragt werden können. Jedes weitere aufgetauchte und auf
historische Zusammenhänge untersuchte Dokument vergrößert den
Stapel an Informationen aus zweiter oder dritter Hand und sollte doch
eigentlich dazu beitragen, den jeweiligen Tonkünstler näher
kennenzulernen, seine Lebensumstände und Handlungen in Relation
zueinander zu setzen und ihn somit als Mensch wie als Musiker besser
zu verstehen. So sollte man zumindest meinen, aber wer meint, liegt
ja meistens daneben.
Tatsächlich liegen weitaus mehr Ebenen zwischen Hörensagen und
historisch verbürgten Daten:
Carl Philipp Emanuel Bach, der dem ersten Biographen seines Vaters, Johann Nikolaus Forkel, Daten über das Leben Johann Sebastian Bachs zukommen ließ, wird dabei wohl das getan haben, was wir vermutlich alle täten, wenn ein Außenstehender versuchen würde, sich Informationen über unsere frischverstorbenen Eltern zu verschaffen: Nein, selbstverständlich meine ich nicht „lügen“, aber die eine oder andere Wahrheit würden wir uns schon zurechtbiegen, ein bisschen aufhübschen, die ganz besonders peinlichen Fotos in Badehose und Basecap verschwinden lassen und eben insgesamt nur die Dinge herausgegeben, die für wichtig und der Nachwelt erhaltenswert gehalten werden. Selbst wenn dabei möglicherweise nicht bewusst gewertet wurde, stecken in Biografien dieser Art wohl mehr als bloße Fakten: Hier spielen zwei weitere Leben eine Rolle: Die des Biografen selbst und die des Übermittlers eben jener Daten. Im oben genannten Beispiel sind das eben entweder wir selbst, oder der liebe Carl Philipp, dessen weitere Anstellungen im musikalischen Bereich möglicherweise auch davon abhängen, dass mögliche Plagiatsklagen gegen den alten Bach unter Verschluss blieben. Beide, also Autor und Informant, unterliegen dem Geschmack und den Moralvorstellungen ihrer Zeit, weshalb sich dieselbe Biografie, wären genau dieselben Fakten einhundert Jahre Später niedergeschrieben worden, vermutlich vollkommen anders gelesen und ein anderes Bild des Komponisten transportiert hätte.
Carl Philipp Emanuel Bach, der dem ersten Biographen seines Vaters, Johann Nikolaus Forkel, Daten über das Leben Johann Sebastian Bachs zukommen ließ, wird dabei wohl das getan haben, was wir vermutlich alle täten, wenn ein Außenstehender versuchen würde, sich Informationen über unsere frischverstorbenen Eltern zu verschaffen: Nein, selbstverständlich meine ich nicht „lügen“, aber die eine oder andere Wahrheit würden wir uns schon zurechtbiegen, ein bisschen aufhübschen, die ganz besonders peinlichen Fotos in Badehose und Basecap verschwinden lassen und eben insgesamt nur die Dinge herausgegeben, die für wichtig und der Nachwelt erhaltenswert gehalten werden. Selbst wenn dabei möglicherweise nicht bewusst gewertet wurde, stecken in Biografien dieser Art wohl mehr als bloße Fakten: Hier spielen zwei weitere Leben eine Rolle: Die des Biografen selbst und die des Übermittlers eben jener Daten. Im oben genannten Beispiel sind das eben entweder wir selbst, oder der liebe Carl Philipp, dessen weitere Anstellungen im musikalischen Bereich möglicherweise auch davon abhängen, dass mögliche Plagiatsklagen gegen den alten Bach unter Verschluss blieben. Beide, also Autor und Informant, unterliegen dem Geschmack und den Moralvorstellungen ihrer Zeit, weshalb sich dieselbe Biografie, wären genau dieselben Fakten einhundert Jahre Später niedergeschrieben worden, vermutlich vollkommen anders gelesen und ein anderes Bild des Komponisten transportiert hätte.
Sobald Biografien von den eigentlichen Faktensammlungen abweichen und
versuchen, das Leben des Künstlers auf irgendeine Weise in Romanform
zu erzählen, was Spielraum für
Interpretationen lässt, Lücken füllen muss und den Protagonisten
ja schließlich auch irgendwie so sympathisch erscheinen lassen muss,
dass man gewillt ist, sich die Sache weiter anzusehen, anstatt sich
zu denken „Ach, spinn doch alleine weiter“ und das Buch in eine
Ecke zu werfen, spielen auch die Moralvorstellungen der
Entstehungszeit des Werkes, sowie die Persönlichkeit und emotionale
Anlage des Autors eine Rolle Und zwar eine Rolle, die groß genug
ist, das tatsächliche Künstlerbild derart zu verzerren, dass es mit
der Wirklichkeit nur mehr ein paar Daten und Zahlen gemein hat.
Erlangt dieses Werk Popularität, wird es das fehlerhafte Image
des Künstlers zwangsläufig in den Köpfen der Bevölkerung
verankern. Auf diese Weise kann sich jede Zeit ihr ganz eigenes Bild
eines Komponisten erschaffen.
So wird es wohl einige Zeit brauchen, ehe Antonio Salieri in den
Köpfen der breiten Masse vollständig rehabilitiert ist und sich
nicht länger als Mozarts Mörder betiteln lassen muss. Wilhelm
Friedemann Bach, der durch Albert Emil Brachvogels Romanbiografie1
und dessen Verfilmung, trotz mittlerweile erschienener, sorgsam
recherchierter und nicht wertender Folgebiografien2,
wird das Bild des missratenen Bach-Sprößlings wohl so schnell nicht
ablegen können, und auch das Bild, das die Öffentlichkeit von Franz
Schubert hat, wurde maßgeblich von einem biografischen Roman
geprägt. Schwammerl heißt das Werk, das Schuberts Bild
romantisieren, verklären und ihn selbst als ein wenig weltfremd und
unorganisiert erscheinen lassen sollte3,,
und das in einem Ausmaß, dass wir ihm heute noch nicht wirklich
zutrauen würden, seine Steuererklärung korrekt auszufüllen.
Schubi, das ist das etwas schusselig aussehende kleine Männchen, das
die irgendwie immer leicht alpenländisch anmutenden Lieder schreibt
und nie eine Frau abbekommen hat.
Da sich der Roman so gut verkaufte
und wir ja alle nicht gerne von unseren Vorurteilen abweichen und
umdenken mögen, sollten sich die folgenden Biografien dieser
Beschreibung zunächst anschließen. So schreibt beispielsweise
Heinrich
Kreissle von Hellborn: „Der Ausdruck seines Gesichtes konnte weder
als geistreich noch als freundlich gelten, und nur dann, wenn ihn
Musik oder Gespräche aufregten, besonders aber, wenn es sich um
Beethoven handelte, fing sein Auge zu blitzen an, und belebten sich
die Züge.“4
Nett, nicht wahr? Weder geistreich noch freundlich...kein Wunder,
wenn der Kerl in seinem Zimmerchen in Wien versauern musste.
Auch Schuberts
Liebesleben bot immer wieder Anlass zu Spekulationen. Heißt es in
„Schwammerl“ noch „"O
ja, meine Musik wollen sie; mich will keine."5,
so wird das romantiserte Bild vom armen ungeliebten hässlichen
Entlein, das all sein Herzeleid in seine Musik legt, in der zweiten
Hälfte des 20 Jahrhunderts aus dem Weg geräumt, um einem neuen
Schubert-Bild Platz zu machen: Der unverheiratete junge Mann, der bei
seinen Kumpanen wohnte und immer wieder von deren Unterstützung
erfuhr und an der Geschlechtskrankheit Syphillis litt, war diemal
nicht unglücklich verliebt, sondern homosexuell6
Hätte es Iljia Dürhammer nicht getan, hätte ihn spätestens Rosa
von Praunheim öffentlich geoutet. Und zwar ohne Rücksicht auf
Verluste.
Da
haben sie also den heutigen Musikern nichts voraus, die Klassiker.
Was Gerüchte und Geplapper angeht, können sich Schubi, Friedi und
Justin Bieber vorraussichtlich die Hand geben. Und Salieri würde
heute vermutlich eine Unterlassungsklage anstreben und öffentliche
Gegendarstellungen fordern. Zurecht. Dass sie es nicht tun, liegt
nicht nur daran, dass sie tot sind (was an sich schon eine ziemlich
gute Begründung wäre), sondern eben auch daran, dass die Herren und
Damen Biografen, sofern sie sich der ernsten Musik zugewandt haben,
zumindest hieb-und stichfeste Quellenangaben liefern und die Thesen
vorsichtig genug formulieren. Und für Romanschriftsteller gelten
ohnehin die Regeln der Kunstfreiheit. Wer ganz sichergehen will, dass
ihm niemand auf die Füße treten kann, erklärt gleich zu beginn die
Handlung und Personen für, wennauch nicht frei erfunden, aber doch
für frei interpretiert. Was sich so manche moderne Musik- und
Tageszeitung übrigens ebenfalls auf das Titelblatt drucken könnte.
1
Albert Emil Brachvogel, Friedemann Bach,
CreateSpace
Independent Publishing Platform, 2012.
2
Als Beispiel sei genannt: Ulrich Kahmann, Wilhelm Friedemann
Bach. Der unterschätzte Sohn, Aisthesis Verlag Bielefeld 2010.
3Rudolf
Hans Bartsch, Schwammerl, Ulan Press, 2012. Erstausgabe von
1912.
4Heinrich
Kreissle von Hellborn, Franz Schubert,
Carl Gerold's Sohn, Wien 1865, S. 465-466, digitalisierte Ausgabe.
5Rudolf
Hans Bartsch, Schwammerl, S. 27
6Vergleiche
hierzu: Ilija Dürhammer, Geheime
Botschaften. Homoerotische Subkulturen im Schubert-Kreis, bei Hugo
von Hofmannsthal und Thomas Bernhard,
Böhlau, Wien 2006 und: Sigrid Weise (Übersetzer), "Mythen
werden Menschen", The
New York Times Magazine,
in:
DIE ZEIT Archiv
Jahrgang 1999, Ausgabe 11.
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