Der Friedi... in Berlin
Teil 5 des Friedemann Bach Geplauders.
Hier geht es zu Teil 1, Teil 2, Teil 3 und Teil 4
Halle hatte er nun hinter sich
gelassen, der Friedemann. Ob er neben viel Ärger auch schöne
Erinnerungen mitgenommen hat, können wir nur vermuten. Lauschige
Kaminabende, an denen sich die Mitglieder des Hallenser Rats
zusammengesetzt und über die schöne Zeit mit dem ältesten
Bach-Sohn geplaudert haben, wird es allerdings definitiv nicht
gegeben haben. In den Akten des Rates wird Friedes Verhalten
folgendermaßen beschrieben: “Sonderbares Betragen, unanständiger
Wandel und Eigensinn”. “Genau!” ruft ein unsichtbarer Carl
Friedrich Zelter aus dem Off, “Und pritzelhaft! Pritzelhaft am
allermeisten!” :D
Irgendwie klingt das alles verdächtig
nach Johann Sebastians Streitereien mit der Universität... der alte
Bach wollte sich geausowenig sagen lassen, wie der junge. Und indem
der junge Bach krampfhaft versuchte, seine Kompositionen von denen
seines Vaters und seiner Brüder abzuheben, schuf er einen ebenso
einzigartigen Stil, wie es sein alter Herr zuvor getan hatte. Es ist
schon ein Kreuz. Wer einen genialen Vater hat, braucht eben dieselbe
Genialität, um anders zu sein (# Teufelskreis). Und wenn der Vater
dann auch noch ein ziemlich sturer Kopf sein konnte, kann man sich
selbst noch so sehr den Schädel einrennen, man wird ihm dadurch nur
noch ähnlicher. Wie man's macht, macht man's falsch. Armer
Friedemann, darauf einen Dujardin, denn einen Kaffee konnte er darauf
ja wohl kaum trinken, Kaffee war ja schon belegt. Vom Vater nämlich.
Wo der seine Niere reizte, forderte Friedemann seine Leber zum Duell.
Immer wieder, je nachdem, wie es ihm gerade ging, konnte er
monatelang keinen Tropfen anrühren, um dann wieder vollkommen
abzustürzen und irgendwo in einem Hauseingang zu sich zu kommen.
Wilhelm Bipolar Bach, Sklave seines eigenen Anspruches, der immer
wieder von seinen Selbstzweifeln zerstört wurde? Da sind wir wieder,
mit der Hobbypsychologie. Es ist aber auch schwer, ihn nicht
verstehen zu wollen.
Hach, Friedi... Alkohol löst keine
Probleme. Zugegeben, Mich, Wasser oder Apfelsaft tun dies
ebensowenig, aber sie wirken wenigstens weder halluzinogen, noch
verändern sie die Persönlichkeit dermaßen nachhaltig, dass
irgendwann kein normaler Umgang und kein vernüftiges
Arbeitsverhältis mehr möglich ist. Wobei er von den
Angestelltenverhältnissen offensichtlich ohnehin den Hals voll
hatte, in der Folge beschloss er nämlich, nach Berlin zu gehen,
seine eigene Suppe zu kochen und freischaffender Künstler zu werden.
Vielleicht war ihm allerdings auch sein pritzelhafter Ruf ein wenig
vorausgeeilt...man weiß es nicht. Was seine Frau dazu gesagt hat
übrigens ebensowenig, wobei das ja offiziell ohnehin egal war, es
sei denn, sie wollte zukünftig auf eigenen Beinen stehen (immerhin
konnte sie noch stehen. Und geradeaus gehen. Und sich an die
Nasenspitze fassen, ohne sich dabei ins Auge zu polken).
So, und an dieser Stelle muss man mal
damit aufhören, ihn die ganze Zeit wie einen lebensuntüchtigen
Alkoholiker zu betrachten. Immerhin hielt er sich bis an sein
Lebensende mit seiner Musik über Wasser, auch wenn er dafür
ziemlich heftig rudern musste, während seine ehemaligen Kollegen auf
der Königlichen Yacht vorbeigeschippert sind. Zudem wurde er ja
nicht jünger und man stellt nicht so einfach einen alternden Herrn
ein, mit möglicher Schrumpfleber und dem Ruf, nicht gerade der
Teddybär unter den Organisten zu sein. Da wird ein jüngerer,
anpassungsfähiger Kandidat sicher vorgezogen, auch wenn man damit
einen der besten Organisten der Zeit auf der Ersatzbank versauern
lässt.
Insofern war Wilhelm Friedemann seiner
Zeit voraus: Freie Kunst war damals noch lange kein Massenphänomen,
tatsächlich kann man ihm da eine gewisse Vorreiterrolle zugestehen,
auch wenn diese Lebensweise vermutlich nicht gerade einem ganz neuen
Kunstverständnis, sondern viel eher einer wirtschaftlichen Notlage
entsprang. Eine Anstellung wäre ihm dann irgendwann
höchstwahrscheinlich doch wieder tausendmal lieber gewesen, nur fand
er zu dieser Zeit eben keine.
Auch heute noch ist es nicht einfach,
als freischaffender Künstler durchs Leben zu gehen. Die
verhältismäßig kurze Zeitspanne zwischen Hochklassik und
Spätromantik, in der Musiker nicht nur (wie fahrende Spielleute im
Mittelalter) von der Hand in den Mund leben mussten und aufgrund
ihrer schlechten wirtschaftlichen Lage immer wieder in Verdacht
gerieten, auch den Inhalt fremder Hände mitgenommen zu haben,
sondern tatsächlich ein Leben führen konnten, das dem eines “Stars”
nahe kommt, war zu Wilhelm Friedemanns Zeiten noch lange nicht
möglich und wird heute wieder von einer Musikindustrie verdrängt,
die Musik genauso zur kurzlebigen Handelsware macht, wie zu bachschen
Zeiten. Das Klischee vom Künstler, der irgendwo kellnern muss, um
überleben zu können, findet sich nicht nur in Hollywoodfilmen, die
Hochschulen sind voll von Schulmusikstudenten, die einen sicheren Job
dem täglichen Kampf um Muggen vorziehen, fast jeder unterrichtet an
irgendeiner Musikschulen oder bei sich zuhause, um ein einigermaßen
sicheres Einkommen zu haben. Am Ende einer Spielzeit oder eines
Konzertprogrammes ist die große Unsicherheit zurück. Aber
vielleicht gibt es sie ja auch zu tausenden, die Sänger und
Instrumetalisten, die ohne feste Anstellung ein Leben im Luxus
führen...falls das hier einer davon liest: Ich hätte gerne eine
Anleitung :)
Wie dem auch sei, Willifried lebte
vielleicht in Rausch und Bausch, aber mit Sicherheit nicht in Saus
und Braus. Und sobald ihn die morgendlichen Kopfschmerzen nach dem
ersten Glas Aspirin in Zauberwasser verlassen hatten, machte er sich
wieder auf, um Unterricht zu geben oder irgendwo vorzuspielen. Und
vielleicht ein paar Noten seines Vaters zu verscheuern, wenn sich die
Rechnungen vor seier Wohnungstüre allzuhoch stapelten.
Als er 1784 im alter von 73 Jahren
starb, war er als Künstler noch immer bekannt und geschätzt, jedoch
arm wie eine Kirchenmaus.
Wieder so eine Lebensgeschichte, als
der sich zahlreiche Lehren ziehen lassen:
- Aus den verhätscheltsten Goldkindern werden irgendwann die größten Stinkstiefel.
- Irgendwann muss man sich einfach von der Übermacht der Eltern lösen: Wer sein Leben lang dagegen ankämpft, statt zu vergeben, löst sich nie, sondern macht die Sache zum Lebensinhalt und vergisst dabei das eigene Leben. Und wer bereits während seiner ersten Jahre weg von zuhause Sachen wie die Sinfonia in d-Moll schreiben kann, *klick* , der befindet sich auf dem besten Wege in die kompositorische Eigenständigkeit.
- Geld allein macht natürlich nicht glücklich. Aber in einem Sportwagen heult es sich bequemer, als auf einem Fahrrad.
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