Nur ein toter Komponist ist ein guter Komponist


 

Manchmal liegt es in der Natur der Sache, dass man als Künstler nicht über den Tod hinaus, sondern überhaupt erst durch diesen bekannt wird.

Dann nämlich steht man in der Zeitung.

Und wenn man Glück hat (sofern man in einer derartigen Situation (also quasi als Gewesener) überhaupt noch davon sprechen kann, Glück zu haben), handelt es sich um mehr als einen kleinen Satz des Bedauerns mit einem schwarzen Rahmen darum herum. Ein kleiner Nachruf, und stamme er auch von einem Musikologen, der sich in erster Linie mit der Erforschung quasi unbekannter (ehemaliger) Zeitgenossen beschäftigt, oder, besser noch, ein Artikel, in welchem man als Schöpfer des einen oder anderen (mehr oder weniger bekannten) Stückes genannt wird. Dann nämlich hat man es geschafft. Irgendwie. Nicht, dass man sich dann noch irgendetwas dafür kaufen könnte, aber das hat Van Gogh schließlich auch nicht gestört. Ein einziges Bild hat er zu Lebzeiten verkauft. Bekannt wurde er als der Irre, der sich ein Ohr abgeschnitten hat, und Gerüchten zufolge tigert er noch heute durch die Unterwelt, tippt Orpheus von hinten auf die Schulter und erklärt mit Stolz (und etwas Überheblichkeit in der Stimme): “MEINE Bilder haben mittlerweile einen unfassbaren Marktwert. Du warst vielleicht der größte Sänger Deiner Zeit, aber, hey, zeig mir einen Menschen auf diesem Planeten, der heute noch auch nur eine einzige Deiner Melodien nachsummen kann!”
Vor wenigen Tagen erst, am 9. Dezember des Jahres, war es wieder soweit: Die Nachrufe erschienen in den Zeitungen und auf den Kulturportalen des Internets. Einen Tag zuvor war der norwegische Komponist Knut Nystedt verstorben, nur wenige Monate vor seinem 100. Geburtstag.

An solche Dingen merkt man erst, wie schnell die Zeit verstreicht. 100, das wäre meine Großmutter in diesem Jahr auch geworden, und wenn ich daran denke, wie lange sie nunschon nicht mehr unter uns weilt (und wie alt ich zum Zeitpunkt ihres Todes schon war), möchte ich mir am liebsten ernsthafte Gedanken über meine eigene Todesanzeige machen. Unfassbar, wie schnell die Jahre gehen. “Viel Winde wehen aus unbekannten Landen, viel Jahre gehen.” dichtete schon der schwedische Musikus Carl Michael Bellman (1740–1795) in seiner Epistel “Weile an dieser Quelle”. Aber bei Bellmann geht es ohnehin in jeder Epistel um Liebe, Suff und Sterben. Meist auch in dieser Reihenfolge.
Was nun den am 8. Dezember verstorbenen Knut Nystedt betrifft, da klingelte bei mir zunächst eimal nichts. Nicht das kleinste norwegische Schlittenglöckchen schien sich zu rühren, so dass ich mir dachte “Das gibt's doch nicht, den musst Du jetzt googeln!” (Googeln, das ist übrigens ein Zeichen für den Wandel in der deutschen Sprache: Wir schaffen es mittlerweise anscheinend tatsächlich, Verben direkt von einem Substantiv abzuleiten, ohne einen kompletten Nebensatz darum herum zu zimmern (zum Vergleich hier mal der englische Satz “Did you pencil this in or must we tippex it in case it doesn't work out? Alternatively you can punch it out and we'll selloptape it back together” mit der deutschen Version “Hast Du das mit dem Bleistift eingetragen, damit wir es hinterher mit Tipp-ex korrigieren können, falls es doch nicht passen sollte? Alternativ kannst Du es auch mit dem Locher herausstanzen und wir können es hinterher mit Tesafilm wieder zusammenkleben.” Der Sinn der ganzen schnippel-und klebeaktion sei dahingestellt, aber wir merken, weshalb deutsche Bücher immer fast doppelt so dick sind, wie die eglischen Originalversionen? Und nein, das liegt NICHT am wertvolleren und dickeren Papier :D ). Jedoch scheinen wir diese wunderbar kreative Form der Verberstellung nur dann zu akzeptieren, wenn das “Ausgangssubstantiv” angelsächsischen Ursprungs und in dieser Sprache bereits in der Verbversion verbreitet ist.)

Zurück zu Nystedt: Kaum hatte ich den Namen eingetippt und die ersten Links erschienen in der Suchmaschine, klingelte es doch noch: "Ach soooooo, das ist der Typ mit “Immortal Bach”, der diese ganze Kirchenmusik geschrieben hat. Wusste gar nicht mehr, dass der Nystedt heißt!” Tja, solange ich noch weiß, wer Alzheimer war, bin ich jedenfalls nicht ganz verloren :)

Jedenfalls erwies es sich als Glücksfall, dass ich den Namen doch noch mal gegoogelt hatte, denn der Suchaktion schloss sich eine ausgiebige Runde Nystedt-Hören an. Gerade zu dieser Jahreszeit ist das sehr zu empfehlen. Eine schöne Duftkerze anschmeißen, eine Tasse Tee anschleppen und ein bisschen Nystedt aus irgendeiner endlosen-Playlist eines anderen Youtube-Nutzers. Dann nämlich läuft man nicht Gefahr, nur die Stücke anzuklicken, die man ohnehin schon kennt.

Was den guten Knut an sich angeht, weiß ich zwar immer noch nicht viel mehr, als das, was mir Wikipedia auf die Schnelle entgegengeworfen hat, aber es gibt ja ein paar Feiertage in den kommenden Wochen. Da werde ich mich dann mal etwas ausführlicher mit dem Mann beschäftigen. Für heute reicht mir das Zuhören.



Konzert des Abends: Podium Violine Plus in der MuHo. Auf den Fotos: Ji wo Lim, Suhyun Song, Jiyun Yang und Pi Wei Chaung 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Mal ein bisschen Theorie - Modi / Kirchentonarten

Wagner-Adventskalender

Lieber Herzenspupsuhu! Spitznamen unter Musikern und Partnern